Olga Grjasnowa und Verena Keßler erzählen von Jugendlichen, die mit Krieg und Gewalt und den Gespenstern der Vergangenheit konfrontiert werden. Moderation durch Michael Ernst.
Olga Grjasnowa: Der verlorene Sohn (Aufbau Verlag 2020) Mit neun Jahren wird Jamalludin, der einmal als Sohn eines mächtigen Imams die muslimischen Völker des Nordkaukasus anführen soll, verschleppt und am Hof des Zaren zum russischen Offizier geformt. Bald schon ist der Junge hin – und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach seiner Familie und den verlockenden Möglichkeiten, die sich ihm in der prächtigen Welt des Zaren bieten und verliert mit der Zeit immer mehr den Bezug zur eigenen Herkunft. Olga Grjasnowa erzählt sprachmächtig von einem Kind, das als Spielball von Machtinteressen zwischen zwei Kulturen und zwei Religionen steht und seine Identität finden muss. Und von der verheerenden Wirkung eines Krieges, in dem es keine Sieger geben kann.
Verena Keßler: Die Gespenster von Demmin (Verlag Hanser Berlin 2020) Die junge Larry wächst in Demmin auf, jener vorpommerischen Kleinstadt, in der im Mai 1945 aus Angst vor den sowjetischen Soldaten der größte Massensuizid der deutschen Geschichte stattfand. Larry möchte die Tristesse des Ortes verlassen und Kriegsreporterin werden. Und während sie mit den Unzumutbarkeiten des Erwachsenwerdens kämpft, sortiert ihre alte Nachbarin vor dem Umzug ins Seniorenheim ihren Hausstand, erinnert sich an das Kriegsende in Demmin und trifft eine folgenschwere Entscheidung. In ihrem vielbeachteten Debüt lässt Verena Keßler dennoch mit Leichtigkeit ihre Romanheldin zwischen den Geistern der Vergangenheit erwachsen werden.