Seit dem Angriffskrieg auf ihre Heimat seien ihr Leben und ihre Arbeit Geiseln dieses Krieges, sagt die 1983 geborene ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk, die seit elf Jahren in Wien lebt. Privat sei in ständiger Sorge um ihre Eltern und Freunde, beruflich beantworte sie täglich Fragen, oder schreibe Texte für Medien. Eines ihrer wichtigsten Anliegen ist es, die »Leerstelle« der Erinnerung aufzudecken, die das Sowjet-Regime im historischen Gedächtnis in Bezug auf die europäische Ukraine hinterlassen hat. In ihrem 2019 erschienenen Roman Blauwal der Erinnerung rollt sie die Geschichte ihres Herkunftslandes auf anhand der Biografie des vergessenen Unabhängigkeitskämpfers Wjatscheslaw Lypynskyi, der 1919 vor den Bolschewiki ins Wiener Exil fliehen musste, und verknüpft diese mit der von Angst geplagten Lebensgeschichte ihrer Erzählerin.
Eine Frau leidet, nach unglücklichen Beziehungen aus der Bahn geworfen, unter Panikattacken und verlässt monatelang die Wohnung nicht. Sie findet Orientierung und Halt in einer historischen Figur, die für die Geschichte der Ukraine eine große Rolle spielte: Wjatscheslaw Lypynskyj. Der leidenschaftliche Geschichtsphilosoph und Politiker entstammte einer polnischen Adelsfamilie, die in der Westukraine lebte. Schon früh identifizierte er sich mit der Ukraine und bestand auf der ukrainischen Form seines Namens. Nach dem Studium befasste er sich politisch und historisch mit dem zwischen Polen und Russland zerrissenen Land und forderte wie besessen seine staatliche Unabhängigkeit. Ein Kampf, der ihn durch verschiedene Länder führte und persönliche Opfer kostete. Ähnlich kränklich wie diese historische Figur und – wie er – auf der Suche nach Zugehörigkeit, folgt die Erzählerin diesem stolzen, kompromisslosen, hypochondrischen Mann, um durch die Erinnerung der sowjetischen Entwurzelung zu trotzen. Tanja Maljartschuk erzählt dicht, klug und bildmächtig von der Suche nach Zugehörigkeit und der Macht der Erinnerung.
Moderation: Irina Bondas
VVK: 10 € | 7 €
AK: 13 € | 10 €