Die Zusammensetzung ändert sich, aber der Zusammenhalt bleibt: Eine Momentaufnahme aus den Anfängen des Vereins (Foto: LIteraturner e.V.)
Von Messeauftritt bis Straßenbahnlesung – der Verein blickt auf aktive Jahre zurück (Foto: Literaturner e.V.)
Mirjam C. Hoff führt mit Angela Zeiler den Vereinsvorstand (Foto: Literaturner e.V.)
Juliane Moschell sprach das Grußwort anlässlich des 10-jährigen Vereinsjubiläums (Foto: Cadot-Knorr)
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23.12.2022
Mirjam Hoff / Juliane Moschell

Amboss, Werkbank, Rückendeckung

Zehn Jahre Dresdner Literaturner e.V.

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Der Dresdner Literaturner e.V. hat in diesem Jahr sein 10-jähriges Bestehen gefeiert. Zu diesem Anlass hat Juliane Moschell, Abteilungsleiterin für Kunst und Kultur der Landeshauptstadt Dresden, auf unserer Mitgliederversammlung ein Grußwort gesprochen. Dabei hat sie uns eine Frage gestellt, deren Antwort wir bislang schuldig geblieben sind: »Ist das Schreiben nicht eine einsame Tätigkeit? Warum braucht man einen Verein für Literatur? Und ist dieser Grund nach zehn Jahren Vereinstätigkeit immer noch gültig?«

Fällt einem allein nicht genug ein, über das man schreiben kann? Hat man in sich und um sich nicht mehr genug Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden? Braucht man eine Bühne, auf der man sich feiern lassen kann? Oder ist der Verein ein Amboss, auf dem man sein Material in Form bringt? Wo man mit ein bisschen Hilfe Grate wegschleifen, Risse kitten und Kanten schärfen kann?

Natürlich ist der Verein die erste Instanz, mit der man als Autor*in (nach dem einsamen Schreiben) in die Öffentlichkeit tritt. Aber gäbe es dafür nicht längst bessere Möglichkeiten? Ein paar Klicks, und schon steht der Text im Internet in Roh-, Erst-, Zweit- oder Zwanzigstfassung einem Publikum zur Verfügung, welches man sich nach Wunschalter, Interessenlage, politischer Ausrichtung und Genrevorstellung aussuchen kann.

Wahrscheinlich haben das die meisten von uns schon einmal versucht. Und die Rückmeldungen reichten von begeistertem Zuspruch bis zu ätzendem Bashing. Aber wer ist »Leser1973«, der einem rät, sich ein anderes Hobby zu suchen (ein Schreibender, der meine Idee gut findet und sie selbst nutzen will)? Und wer »HobbitOmane«, der pikiert anmerkt, dass die Geschichte ihm in einer Fantasy-Version besser gefallen hätte?

Wenn mir im Verein jemand gegenübersitzt, der meint, dass er diesen Riss im Text nicht kitten würde, kann ich darauf vertrauen, dass er mir auch erklärt, warum er das nicht tun würde. Und er vertraut darauf, dass ich ihm genau so ehrlich sage, was mir an seinem Text gefällt und was vielleicht nicht.

Wie oft habe ich schon überlegt, ob ich einen Text vortrage, der mir ausgezeichnet gelungen ist, und dann habe ich doch den Text genommen, der mir Probleme bereitete, obwohl ich vorher wusste, auf welche Punkte mich die Vereinsmitglieder hinweisen würden. Oft entspinnt sich eine Diskussion um das Thema. Es kann passieren, dass diese Diskussionen das Thema über lange Strecken kaum berühren und dann vielleicht doch wieder über einen kleinen Haken zu meiner Geschichte zurückführen. Dann sitzt man als Autor*in frustriert da und hat keine Ahnung, was man damit anfangen soll. Aber später, wenn man nach Hause fährt, oder am Tag danach, taucht gerade aus dieser Diskussion eine Idee auf, die man aufnehmen und weiterspinnen kann und die die Geschichte tatsächlich besser macht.

Und warum braucht man nun einen Verein für Literatur?

Ich wünsche mir eine ehrliche und fundierte Rückmeldung auf meine Arbeit. Die bekomme ich bei den Literaturnern, gerade weil ich weiß, dass alles, was uns eint, der Wunsch ist, eine gute Geschichte auch gut zu schreiben. Ansonsten sind wir alle sehr verschieden. Wir sind unterschiedlich alt, haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, haben unterschiedliche Berufe und haben auch unterschiedliche Vorstellungen von den Dingen, die wichtig oder gut sind. Aber hier im Verein haben wir ein gemeinsames Ziel, auch wenn jeder es letztlich auf seinem eigenen Weg erreicht. Ein*e Autor*in sollte im besten Fall immer wieder neu antreten, um dieses Ziel zu erreichen. Und von hier, vom Verein aus, bin ich sicher, dass wir es auf jeden Fall leichter haben, diesen Weg zu finden.

 

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Grußwort am 3. Juni anlässlich 10 Jahre Literaturner von Juliane Moschell

 

Sehr geehrte Mitglieder des Vereins Literaturner e.V.,

sehr geehrte Frau Hoff, lieber Herr Heidrich,

es gibt Fragen im Leben, die man sich regelmäßig neu stellt und auf die man regelmäßig neue oder weitere Antworten findet – also Erweiterungen zu bereits getroffenen Feststellungen. Eine solche Frage scheint mir die nach der Bedeutung der Literatur zu sein.

Grundsätzlich sehe ich zwei verschiedene Perspektivpunkte, von denen aus wir uns annähern können.

Einmal aus der Sicht eines Schriftstellers oder einer Autorin – hier ist das Schreiben von Literatur eine Aufgabe, die von innen herauskommt und im Äußeren, im Anderen eine Wirkung entfalten möchte. Bei vielen Künstler*innen habe ich sogar festgesellt, dass diese Form der Kunstausübung ein MUSS ist.

Eine andere Perspektive auf die Frage nach der Bedeutung von Literatur nimmt die Leserin, der Rezipient ein, wenn sie die Literatur auf sich wirken lassen, ja im besten Fall verinnerlichen. Kafka hat ja einst geschrieben, ein Buch müsse die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Literatur ist somit einerseits die Innerlichkeit, die nach außen dringt, und andererseits die Wirkung, die sich in der Innerlichkeit entfaltet – ganz eigen(!) und oft unvorhersehbar.

Ein schreibender Mensch hat dabei das große Glück, beide Perspektiven einnehmen zu können, denn in der Regel ist er immer auch ein lesender Mensch. Sie können sich also glücklich schätzen.

Die Bedeutung der Literatur nimmt im Blick auf alle Künste eine Art Grundform ein. Der Mensch erzählt sich seit Jahrtausenden, seit das Denken ausgebildet wurde, Geschichten. Der Weltzugang kann generell wie Wilhelm Schapp es in seiner Philosophie feststellt nur über Geschichten erfolgen.  Neben der materiellen Welt, ist es vor allem die immaterielle, die er erschafft, indem er Narrative (er)findet, um seinem Dasein einen Sinn zu verleihen. Durch diese sozial geteilten Narrative kann sich der Mensch (im Gegensatz zu Tieren) in großen Gruppen organisieren und überspannend Lösungen für Probleme ersinnen. So kann ein gesamtgesellschaftliches Regelwerk erschaffen werden, an welches sich Millionen Menschen halten und in welchem sie sich anpassen bzw. zurechtfinden können. Kunst und Kultur tragen durch die fortwährende Erzählung und Neuerzählung von Geschichten, also dem, wie sich der Mensch im immateriellen Sein die Welt vorstellt, dazu bei, unsere Um-Welt und deren Entwicklungen zu erklären.

Literatur ist auch in den anderen Künsten oft der Ausgangspunkt, von dem aus sich alles Weitere entspinnt: nehmen wir das Theater (der Text als Grundlage), den Film oder auch in mancher Hinsicht die Musik – denn was wäre Schuberts Winterreise ohne die Gedichte von Wilhelm Müller? »fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus« – heißt es da zu Beginn. Bei diesen Versen und ihrer kongenialen Vertonung müssen wir doch gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Erfahrungen in ein Zittern geraten. Also wieder: innen und außen, Wirken und »gewirkt werden«.

Die Bedeutung von Literatur misst sich folglich nicht nur im Kontext ihrer Entstehung und Absicht, sondern gerade darin, was aus ihr werden kann, in all ihren Möglichkeiten und Spielräumen.

Literatur überdauert im besten Fall. Sie entfaltet sich noch Jahrhunderte später. Sie reagiert also zum einen auf die Geschehnisse und Erfahrungen in ihrer Entstehungszeit und zum anderen kommentiert sie Ereignisse in anderen Zeiten – also zukünftige, weit in der Ferne liegende Entwicklungen

– oder was denken Sie, wenn sie heute beispielsweise Voltaires Candide lesen oder sich im Theater Ibsens Ein Volksfeind ansehen?

Literatur hat die Kraft zu kommentieren und sich einzumischen, ich meine einzumischen in uns als denkendes und kreatives Individuum, das nach Friedrich Schiller über den »tabellarischen Verstand und die mechanischen Fertigkeiten« hinaus, die ästhetische Dimension ausgestalten muss, um ganz Mensch sein zu können. Und Literatur muss sich darüber hinaus einmischen in die gesellschaftlichen Diskurse, in die alltäglichen Herausforderungen und Krisen, die wir als Menschen zum größten Teil ja selbst verursachen. Die Kraft und Bedeutung der Literatur liegt also gerade darin, in uns zu wirken, im Einzelnen, und gleichzeitig darin, im Ganzen zu funktionieren, das Ganze anzusprechen im Lauf der Zeit.

Vor zehn Jahren haben Sie einen Verein gegründet, der sich dem Kern des Schreibens widmet. Sie sagen, Schreiben könne man nicht alleine. Eine Art Zweckerklärung ihres Verbundes? Sicher haben Sie nun zehn Jahre Erfahrungen, mich würde interessieren, wie Sie das genau machen mit dem »nicht alleine Schreiben«.

Willi Hetze erwähnt in Ihrem Film »Manchmal ist man zu Hause mit seinen Gedanken sehr allein. Die Arbeit im Verein bedeutet daher sowohl Abwechslung als auch Unterstützung und Rückhalt.«

Rückhalt, das ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt, auf den Sie sich verlassen müssen. Rückhalt ist das Gefühl, von anderen unterstützt zu werden. Das gibt Sicherheit und sich daraus zeugende Kraft. Gerade in Krisenzeiten, in denen wir Erschütterungen ausgesetzt sind, freiheitliche Einschränkungen erleben, Gefahren entgegensehen und Ängste entwickeln, die vorher doch eigentlich unvorstellbar weit entfernt schienen, ist Rückhalt umso wichtiger. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gerade durch das Feste und Beständige Ihrer Vereinsarbeit, sich den entsprechenden Rückhalt aufgebaut haben, der Sie weiterhin durch schwierige Zeiten tragen wird. Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiterhin Mut und Kraft zum Schreiben haben, sich austauschen und sich gegenseitig unterstützen.

Und ich wünsche der Dresdner Literaturszene viele weitere Jahre, in denen Ihr Verein wirkt und Wirkung entfaltet. Sie schreiben, Sie publizieren, Sie erweitern vielleicht auch Ihre Literatur mit anderen Künsten und Sie äußern ihr Inneres, um zu wirken.

 

Dazu ermutige ich Sie weiterhin.

Bleiben Sie frei im Wort.

Herzlichen Glückwunsch zu 10 Jahren Literaturner!