Jayne-Ann Igel: »alles lichter winter«, erschienen bei Gutleut, Foto von der Autorin
06.11.2020
Tomas Gärtner

Bildkräftiges Sprechdickicht

zu Jayne-Ann Igels poetischen Miniaturen in »alles lichter winter«

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Die Dresdner Dichterin Jayne-Ann Igel, Jahrgang 1954, schlägt uns mit ihrem neuen Band alles lichter winter ungewohnte Wege vor, uns und unsere Umgebung wahrzunehmen und zu bedenken. Wen der erste flüchtige Blick aufs Oberflächliche nicht befriedigt, der ist hier ander richtigen Adresse.

Wir sind anders, zeigen diese Texte bereits in ihrer Gestalt: Für echte Gedichte fehlt ihnen die Aufteilung in Zeilen; für Prosa wiederum setzen sie zu deutlich auf ungewöhnliche Worte, Wendungen, auf Klang und Rhythmus. Nehmen wir sie als poetische Miniaturen.

Bei der Premiere des buchkünstlerisch originell gestalteten Bandes im Erich-Kästner-Haus für Literatur charakterisierte die Dresdner Dichterkollegin und Moderatorin Undine Materni sie treffend als »still« und »feingliedrig«. Etwas, das gerade nicht eingängig sein, sondern von ausgetretenen Sprachpfaden weglocken will in unsicheres Gelände. Was wiederholtes Lesen fordert. Erst dann erschließt sich das Besondere.

Kunstvoll verweben sich Beobachtungen, Assoziationen, Erinnerungen, durch die bisweilen ideologische Losungen aus vergangenen DDR-Zeiten hallen und die Frage nach dem Sinn von Utopien aufwerfen. Mal lesen sich diese kurzen Texte wie Notizen, spontan, bruchstückhaft, auch, weil oft Hilfsverben wie »haben« oder »sein« fehlen.

Rasche Tonwechsel fallen auf, von gehobener Sprache zu salopp hingeworfenen Formulierungen, etwa in einem der winterlichen Texte: »braun tönt es draußen, von der laternen macht, observierend jegliches kehlchen, was da lautet, rot, versonnen oder so, im sprechdickicht sich verheddert«.

Elegant drehen sich einzelne Worte und zeigen ihre Doppelbedeutung. Sie entwickeln ein munter bildkräftiges Eigenleben. Wieder und wieder fallen einem seltsam geformte Fundstücke auf, die den Blick weiten. Sie finden sich in Texten, die als Beobachtung eines alltäglichen Vorgangs beginnen können. Zum Beispiel, wenn frühmorgens die Gehölzpfleger und Baumfäller die Kettensäge anwerfen und in den Ohren der Dichterin den »klangnachhölle« erzeugen.

Da bietet sie zur Gegenwehr eine ganze Kaskade eigenwilliger Fügungen und Wortspiele auf: »als lebten wir in einem riesigen forst, wo jeden tag was anfällt, eingehegte nutzlast, frustschurz, klang und bang, der sägen empathie, unsäglich diese klangschaft von sage und säge, erinnernd an gang und gäbe, gleich verhängnisvoll, dem nachzugehen«. Aggressivität läge jetzt nahe. Statt dessen formuliert sie eine Einladung, in der ein Lebensprinzip steckt: »bleib auf dem weg und mach dich laub, lass dich vom wind bewegen, dem der großenfahrt«.

Während der Lesung fiel Jayne-Ann Igel selbst auf, wie oft sie von der Natur spricht. Es ist eine sinnliche Erfahrung des Lebendigen, das diese Texte verteidigen, gegen eine digitale künstliche Welt, gegen »traumlose räume« und technisierte Umweltzerstörung: »Diktiert ins kosmische logbuch betreiben wir selbstaufgabe, geben uns redlich, nennen das schweigen über undinge diskret, meiden die tundren, das polarmeer,blaseneseinfachweg«.

Jayne-Ann Igel: alles lichter winter. gutleutverlag, Frankfurt/Main 2019.