Katharina Bendixen (c) Christiane Gundlach | Daniela Lehmann (c) privat
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30.09.2022
Katharina Bendixen mit Daniela Lehmann

»Blickwechsel«

Briefe der Stadtschreiberin

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Liebe Daniela,

als ich dich im Juli im Rahmen des Schaubudensommers auf der Hauptstraße bei deiner Performance im Springbrunnen gesehen habe, brauchte ich ein paar Minuten, um dein Gesicht einzuordnen. Wahrscheinlich war ich anfangs noch zu fasziniert von dieser Gleichzeitigkeit: Es war ein glühend heißer Sommertag, und während du dich mit zwei Kolleginnen in weißen Reifröcken durch das Wasser bewegtest, spielten zwischen euch die Kinder. Manche Eltern – auch ich – hielten ihre Kinder zurück, andere ließen sie einfach weiter mit dem Wasser spielen. Während ich meinen zappelnden Kindern zum dritten oder vierten Mal erklärte, dass das Kunst ist und sie nicht stören dürfen, fiel mir ein, woher ich dein Gesicht kenne: Du warst bei der Konferenz »Elternschaft und Kunstbetrieb« dabei! Und plötzlich ergab die Gleichzeitigkeit von künstlerischer und kindlicher Bewegung für mich noch mehr Sinn.

Habt ihr damit gerechnet, dass ihr von Kindern gestört werdet? Habt ihr das überhaupt als Störung empfunden? Arbeitest du manchmal im Beisein deines Kinds, kannst du mit ihm gemeinsam Stücke entwickeln? Oder ist es eher wie beim Schreiben – während der Entwicklung bist du allein, und das (vorläufige) Ergebnis ist dann für ein Publikum, also auch für Kinder? Würdest du das eigentlich trennen – Tanz für Kinder und Tanz für Erwachsene?

Im August habe ich mit Roman Israel Briefe gewechselt, und beide haben wir bedauert, dass das Fördersystem für Künstler*innen mit Kindern viel zu unflexibel ist. Darum ging es ja unter anderem auch auf der Konferenz, auf der wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Zu den bereichernden Aspekten unserer (Teilzeit-)Elternschaft sind Roman und ich gar nicht mehr gekommen, deshalb frage ich jetzt dich: Was ist für dich bereichernd daran, Tänzerin und Choreografin und gleichzeitig Mutter zu sein? Inwiefern hat deine Elternschaft deine Arbeit vielleicht auch zum Positiven verändert? Und wie ist es für dein Kind, eine Mutter mit einem ungewöhnlichen Beruf zu haben?

Magst du diese Art Fragen überhaupt? Ich kriege manchmal ein ungutes Gefühl, weil diese Fragen die Kinder auf eine seltsame Weise zu instrumentalisieren scheinen. Gleichzeitig erscheint es mir wichtig, über solche Dinge nachzudenken, auch um Rollen- und andere Konflikte aufzulösen. Deshalb wäre meine Antwort in Kurzfassung, weil der Brief schon so lang ist: Ich glaube, durch die Kinder habe ich ein anderes Verständnis von Zusammengehörigkeit bekommen, das meinen Texten möglicherweise anzumerken ist. Ach ja: Und meine Kinder freuen sich, dass wir in diesem Sommer und Herbst regelmäßig in die Dresdner Stadtschreiberinnenwohnung fahren können, weil wir dort, anders als im Leipziger Alltag, Zeit für Museen und Kinderlesungen haben.

Wie ist das alles bei dir?

Herzliche Grüße durch die ersten Septembertage
Katharina

 

Liebe Katharina,

danke für Deine neugierigen Fragen. Ja, wie ist das bei mir?

Ich fange mal mit dem HIER und JETZT an. Ich sitze auf meinem Bett, nachdem ich mit meiner Tochter einen ganzen Tag im Festspielhaus Hellerau verbracht habe. Mit meiner Tochter Talu (10 Jahre alt), naja, eher neben meiner Tochter. Ich habe an dem Treffen der Resident:innen der #TAKEHEART Förderung teilgenommen, wo ich zwei Workshops besucht habe. Das Tolle war, dass für Essen und Kinderbetreuung gesorgt wurde. Das war wundervoll und dennoch habe ich mich zwischendurch gefragt: »Was mache ich hier an einem Samstag? Ich widme mich meiner Arbeit und mein Kind ist dabei, ohne dass wir wirklich Zeit miteinander verbringen.« Es ist manchmal so schwierig, zu seinen Prioritäten zu stehen. Und manchmal ist es auch widersprüchlich: Ich liebe es, mit Kolleg:innen über Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozesse zu sprechen, und gleichzeitig ist das Investition von Zeit und Energie, die ich nicht mit meiner Familie verbringe. Ja, so sieht es momentan aus. Beides ist wichtig und, ganz ehrlich gesagt, habe ich Lust, mich auch in diesen Prozess zu entspannen und die Ansprüche an mich und meine Verfügbarkeit etwas herunterzudrehen.

Nun will ich Deine Fragen beantworten bezüglich meiner Art und Weise, in der Öffentlichkeit zu performen. Ich liebe es, an Orten zu performen, an denen kein Tanz erwartet wird. Ich liebe es, mit Menschen über eine fiktive Persönlichkeit in Kontakt zu treten, besonders wenn die Leute nicht an Theaterkontexte gewöhnt sind und ganz spontan und persönlich reagieren und agieren. Kinder sind da besonders frei, was mir sehr gefällt. Ich fühle mich sehr selten gestört beim Performen, denn für mich ist es pures Material, was ich in meinen Improvisationen verwende. Selbst wenn Kinder mich etwas fragen oder einfach sehr vertieft spielen und mich ignorieren, während ich tanze, kann ich damit sehr gut umgehen. Für mich ist es ein Zeichen von Freiheit, dass sie dem nachgehen, wohin es sie gerade zieht. Also folge ich genauso meinen Impulsen und baue sie in meine Performances ein. Die Kunstfigur, die ich beim Tanzen bin, entspricht ohnehin nicht der Norm und agiert überraschend, was sie frei macht, alles eigenartig zu bewerten, auch das Lachen eines Kindes oder eine Person, die im Weg steht. Sie ist dann keine Störung, sondern einfach eine Person, die steht, wo sie steht. Da gibt es kein Stören, kein Scheitern, kein richtig oder falsch.

Wenn ich an einem Projekt arbeite, arbeite ich allerdings lieber allein. Das hat mit meiner Lust zu tun, mich zu fokussieren und einzutauchen in meine eigene Geschwindigkeit.

Deine letzte Frage finde ich sehr spannend: Wie ist es für deine Kinder, eine Mutter mit einem ungewöhnlichen Beruf zu haben? Hmmm, gute Frage, ich werde Talu fragen und dir berichten. Jetzt habe ich wenige Deiner Fragen beantwortet, finde sie aber alle wichtig und interessant. Ich hoffe, wir können das in den nächsten Briefen weiter vertiefen. Ha, das reimt sich und ich beschließe hiermit diesen Brief. Es macht übrigens Spaß, einfach drauflos zu schreiben, ohne Antragslyrik oder Wissenschaftssprache. Danke für diese Möglichkeit, liebe Katharina.

Deine Daniela

 

Liebe Daniela,

so wie Du beginne auch ich im HIER und JETZT – im Regionalexpress, mit dem ich gerade von Dresden zurück nach Leipzig fahre. Gestern Abend habe ich in der Bibliothek Pieschen Erzählungen rund um das Thema Fürsorge und Familie gelesen. Es waren nicht sehr viele Gäste da, aber das anschließende Gespräch fand ich bereichernd. Die Gäste gehörten eher unserer Elterngeneration an, und ich habe sie gefragt, ob sie es nicht irritierend finden, wie viel Aufhebens unsere Generation um ihre Elternschaft macht. Wie erschöpft wir immer sind, auch: wie verunsichert. Sie sagten: Ja, das finden wir irritierend, bei uns hat es doch auch funktioniert, ohne dass wir so viel gejammert haben. Wir sprachen über mögliche Gründe: Liegt es daran, dass unsere Generation mehr Freiheiten hat? Liegt es an unserem Alter, oft sind wir Akademikereltern bei der Geburt unseres ersten Kindes ja schon jenseits der 30? Und ist es nicht auch gut, dass wir uns mehr Gedanken machen?

Ich danke dir für deine offenen Antworten! Ich finde es interessant, wie du die Kunstfigur beschreibst, die du beim Tanzen bist, und wie sie mit den »Störungen« von Kindern umgeht. Eine ähnliche Kunstfigur schaffen auch viele Autor*innen, wenn sie auf der Bühne sitzen. Sie bringen eine bestimmte Geschichte mit, eine bestimmte Haltung; im Gegensatz zu deiner Kunstfigur spielt dabei auch Selbstmarketing eine Rolle. Ich bin schlecht im Spielen, auch gestern Abend konnte ich nur eines: ehrlich sein. Die Frage, was ich anders als meine Eltern zu machen versuche, brachte mich aus dem Konzept: Will ich das öffentlich sagen? Aber möglicherweise ist die zur Schau gestellte Unfähigkeit, eine Kunstfigur zu sein, auch eine Kunstfigur.

Ja, frag mal deine Tochter, wie sie deinen Beruf empfindet. Unser großer Sohn will im Moment Kindergartenerzieher werden. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer bildenden Künstlerin, die mir erzählte, dass ihre Töchter ihre Arbeit (oder eher das damit verbundene geringe Einkommen?) zeitweise extrem abgelehnt haben. Inzwischen studiert die eine Bühnenbild und die andere Fotografie. Wenn ich es wählen konnte, was mir natürlich nicht zusteht – würde ich mir für meine Söhne auch einen solchen Beruf wünschen, oder finde ich es besser, wenn sie später etwas machen, was ihnen weniger Kraft abverlangt? Finden sie die Momente voller Reichtum dann anderswo? Und es ist ja auch so, wie du es schreibst: Die Kinder helfen mir – neben vielem anderen, was ich gar nicht alles aufschreiben kann –, mir weniger abzuverlangen. Mehr im Moment zu sein, auch wenn das jetzt abgegriffen klingt. So wie du es auch beschrieben hast: Mich mehr zu entspannen.

Das Drauflosschreiben mache ich übrigens fast immer, und du – tanzt du drauflos? Zum Aufwärmen? Zum Ausprobieren? Zum Entwickeln neuer Stücke? Ich tanze manchmal mit den Kindern, am liebsten zu »Mattscheiben-Milli« vom Grips-Theater. Hat man diese unbeschwerten Momente auch noch ohne Kinder? Kommen sie wieder, wenn die Kinder groß sind? Hoffentlich!

Alles Liebe
Katharina

 

Liebe Katharina,

auch ich beginne da, wo du aufgehört hast. Drauflos schreiben. Drauflos tanzen. Es ist so schön, gemeinsam zu tanzen, ganz wild und verrückt oder ganz zart und leise, am allerwichtigsten: ohne Bewertung von außen.

Die unbeschwertesten Momente mit meiner Tochter sind gerade die gemeinsamen Wege zu ihrer neuen Schule. Wir laufen nebeneinander, sie erzählt von sich, von ihren Befürchtungen, davon, wie sie es lieber hätte, von Harry Potter und ihren Haaren, die doch ein bisschen welliger sein könnten. Ich höre zu und sage, wie ich ihre Haare liebe und dass ich mich im Harry Potter Universum so gar nicht auskenne und dass sie das ja schon weiß. Sie neckt mich und lacht und ich liebe sie für die Nähe, die sie zulässt. Dann sage ich: »Tschüss, hab dich lieb«, und hoffe, dass ihr Tag in der neuen Schule nicht zu irritierend für sie wird, dass sie nicht wieder nach Hause kommt und erst einmal weinen muss, um die Anspannung loszuwerden und in ihren Rhythmus zu finden. Ich hoffe, dass ich nicht wieder in diesen Strudel gerate, der alles in Frage stellt: »Bin ich zu inkonsequent in meinen Entscheidungen bezüglich der Schule, gebe ich ihr genug Geborgenheit, um Selbstvertrauen zu entwickeln, schaffe ich das als alleinbegleitende Mama überhaupt, strudel ich zuviel? Strudeln gehört dazu, gehört es dazu? Kann ich überhaupt Coach für andere Mamas sein, wenn ich selbst so strudele?« Da haben wir sie wieder – die Zweifel, die wir doch eigentlich mal an sich anzweifeln könnten 😉

Ganz ehrlich: Diese Prozesse nehmen mich ein. Sie sind genau das, was beim Arbeiten als freischaffende Künstlerin keinen Platz hat. Oder ich erlaube mir zu sagen: »Ich kann ein paar Tage nicht arbeiten. Ich will erst mal Klarheit gewinnen, wie ich mit den Schwierigkeiten beim Schulwechsel meiner zehnjährigen Tochter umgehe, und das braucht zeitliche und emotionale und organisatorische Widmung.« Hach, wäre das schön, wenn das Raum hätte in den Arbeitskontexten. Kann ich den Raum schaffen? Können wir uns unter Kolleg:innen vertrauensvoller austauschen und unser Wirken so gestalten, dass auch unser Elternsein beachtet und geachtet ist, am ehesten von uns selbst? Denn wir wollen doch, das unsere Kids sich nicht so verbiegen müssen und etwas schlauer mit der Leistungsgesellschaft, dem zur Zeit so verqueren Arbeitsbegriff oder ihrer eigenen Gesundheit umgehen. Meine Tochter sagt zu meinem Beruf als freischaffende Choreografin und zu meinen Aktivitäten als Vorstandsmitglied im TanzNetzDresden und als Mitglied im Zentralwerk e.V. tatsächlich folgendes: »Ach, Mama, du arbeitest so viel und bist dann so angespannt. Du solltest wieder mehr Coach sein. Als du (in Coronazeiten) hauptsächlich andere Mamas gecoacht hast, warst du so entspannt, hattest viel mehr Zeit und viel mehr Geld. Mach das, Mama, coache wieder mehr!«

Seufz. Recht hat sie. Und dennoch … was wird dann mit diesen genialen Projekten, für die ich brenne? Jetzt bin ich zum Beispiel in Catania, Sizilien, für ein Projekt über Erinnerungskultur namens »Industrial Heritage Soundscapes«, in dem wir mit der NS-Geschichte von Orten wie dem Zentralwerk in Dresden arbeiten. Und hey, auch das ist wichtig für die generationsübergreifende Entwicklung eines Umgangs mit dem JETZT – die Fähigkeit, die eigene Wahrnehmung mitzuteilen, sich und den anderen zuzuhören, mutig und vertrauensvoll. Da passt es auch, dass ich meine Arbeit als Choreografin und Coach für Eltern unter dem Label CHOREOGRAPHY OF LIFE zusammenfasse. Was, wenn beides geht und das eine das andere nicht ausschließt? Wie ich schon schrieb: Einfach mal die Zweifel anzweifeln, weil wir ja so gut zweifeln können, in unserem Beruf und als Mama.

Dann klappt das Drauflostanzen auf der Bühne und im Leben auch besser – weil du ja gefragt hast, wie ich Stücke entwickle. Das zu beschreiben, würde zu lange dauern, da meine Methode sich über die letzten 20 Jahre entwickelt hat und sich immer weiter wandelt und präziser wird. Die Neugier, Fragen zu stellen, die nicht eindeutig beantwortbar sind, gehört definitiv zu meinem Arbeitsprozess.

Liebste Grüße aus dem B&B Catania
Daniela