Trotz Doktortitel macht Jakob Fabian Werbung für Zigaretten. Er hat keinen Plan für sein Leben, lässt sich treiben und beobachtet die Entgleisung der Moral in der Berliner Gesellschaft um 1930. Eine neue Offenheit ist plötzlich angesehen, ein legerer Umgang mit dem Taktgefühl, der die Scham in Spitze und Seide erstickt und nach nackter Haut greift, um nicht am eigenen Elend zu verzweifeln: »Er betrieb die gemischten Gefühle schon lange aus Liebhaberei. Wer sie untersuchen wollte, musste sie haben. Nur während man sie besaß, konnte man sie beobachten. Man war ein Chirurg, der die eigene Seele aufschnitt.«
In der ursprünglich lange zensierten Fassung Fabians, des Moralisten, skizziert Erich Kästner die Gesellschaft seiner Zeit in kurzen Kapiteln und lädt den Leser am Vorabend der Machtergreifung in Clubs und Bordelle, zu Tanzpartys und einsamen Witwen. Seine scharfe Ironie erschafft eine Situationskomik, die ein lachendes und ein weinendes Auge provoziert. Lästerlich, aber liebevoll betitelt Fabian die Wahrzeichen Berlins und genießt seine Freiheit, bis ihm nach und nach alles genommen wird.
»Als ich vorhin sagte, ich verbrächte die Zeit damit, neugierig zuzusehen, ob die Welt zur Anständigkeit Talent habe, war das nur die halbe Wahrheit. Daß ich mich so herumtreibe, hat noch einen anderen Grund. Ich treibe mich herum, und ich warte wieder, wie damals im Krieg, als wir wußten: Nun werden wir eingezogen.«
Kästners favorisierter Titel rückt die Gesellschaft in den Mittelpunkt und spricht eine Warnung aus, die seinerzeit nicht reichen konnte, um die Menschheit wachzurütteln. Sein größter Roman, der in seiner politischen Szenerie und erotischen Eskalation jahrzehntelang beschnitten wurde, enthält unter anderem das aus Angst vor Zensur gestrichene »Kapitel 3«, in dem der Direktor seine Blinddarmnarbe entblößt und mehrerer Affären mit seinen Schreibkräften beschuldigt wird. Angefügt sind auch die beiden Nachworte für die Sitten- und die Kunstrichter, die ursprünglich zur ersten Ausgabe gedacht waren, ebenso wie die kontrastierenden Vorworte zu den Ausgaben von 1946 und 1950 und eine ausführliche Notiz des Herausgebers. Eine detaillierte Auflistung zeigt jede Kürzung und Änderung, die an dem Manuskript damals vorgenommen wurde.
Jeder Leser kann mit diesem Buch stärker nachempfinden, was für Kästner sein politisches Schreibverbot bedeutete – in einer Zeit, als er auf den Höhepunkt seiner Karriere zusteuerte.
erschienen in DRESDNER Kulturmagazin 07/14 / Literatur