Wer sie nicht kennt, muss das Nachwort zuerst lesen: Mary, Tochter einer Frauenrechtlerin und eines Philosophen, lebte jahrelang in wilder Ehe, bevor sie Percy Shelley wegen des Sorgerechts für sein Kind heiratete. Der konventionellen Gesellschaft waren sie in die Schweiz entflohen, wo sie Victor Frankenstein (und der seine Kreatur) zum Leben erweckte – eine Parabel auf den Größenwahn, aber auch das fantastische Experiment der Kunst, Verstorbene wieder zurückzuholen. Mit sechzehn Jahren hat Mary ihr erstes Kind begraben, ihr Mann und zwei weitere Kinder sollen ihm folgen, ihre Seele versinkt in Dunkelheit. Erst als ihr verbliebener Sohn das Erwachsenenalter erreicht, bringt sie Kraft und Mittel für eine heilsame Reise auf.
Zum 200-jährigen Jubiläum der Mär um den »modernen Prometheus«, mit dem man Mary Shelley assoziiert, übertrugen gleich mehrere Verlage ihre Streifzüge ins Deutsche. Herausgeber Michael Klein übersetzte schon Mark Twain in Bayern und weiß, mit welch spitzer Feder Schriftsteller ihre Umgebung festhalten.
Auf ihre vornehme englische Art moniert Mary Shelley das Benehmen der Deutschen ebenso wie Verständigungsprobleme, lobt aber die Dresdner Gärten als zeitgemäß – wenn auch der Rasen in schlechtem Zustand ist … Die Autorin reflektiert über eine Poeten eigene Rastlosigkeit und zieht eine spannende Parallele: Mit der Hitzewelle, die Dresden erfasst hat, fließt nicht nur die Elbe träge, auch die Society hier wirkt verstaubt. Eine stagnierende Stadt, an der sie vor allem alte Gemälde faszinieren.
Streifzüge durch Deutschland skizzieren die Gedanken einer aufmerksamen Beobachterin mit einem Horizont, der über den Rand eines Lebens reicht: »Es gibt nichts Gutes und kein wirkliches Wissen, solange wir nicht aus uns heraus und das Äußere in uns hineingeht – dies ist das Geheimnis der Mathematik ebenso wie das der Dichtung.«
Mary Shelley: Streifzüge durch Deutschland, Morio 2018.
erschienen in DRESDNER Kulturmagazin 08/18 / Literatur