StartNext ist fast schon eine Form von Social Media: Man verteilt seine Gunst und entscheidet – ganz mündige*r Konsument*in –, welche Inhalte man auf dem Markt sehen will … Katja Völkel, eine Verlegerin, die gern für ihre Experimentierfreude bekannt ist, nutzt die Plattform jetzt für ein Buchprojekt: Ausgerechnet eine lettische Übersetzung will sie auf die Beine stellen – doch was wäre die Buchbranche heute ohne Mut!
Ein reichliches Jahr ist es jetzt her, da lud die Agentur Latvian Literature Netzwerkpartner*innen in ihre Heimat ein, um weltweit Übersetzungslizenzen für lettische Literatur zu fördern. Wie kam man dabei auf den Ultraviolett Verlag?
Im Grunde war es andersrum: Der Ultraviolett Verlag kam auf Latvian Literature. Eine meiner Verlags- und Lektorenkolleginnen, Bettina Bergmann, ist gleichzeitig Übersetzerin aus dem Lettischen. Auf der Frankfurter Buchmesse 2022 kamen wir ins Gespräch, und ich erzählte ihr, dass ich als Kind schon einmal in Riga auf einem Literaturfest war, meine Familie mit Schriftstellern aus Lettland befreundet war und ich so wunderbare Erinnerungen an dieses Land habe. Sie wiederum schwärmte mir von der reichen lettischen Literatur vor, und riet mir einerseits dringend dazu, mich für den Austausch in Riga zu bewerben, andererseits machte sie auch in Riga bei Latvian Literature für mich gutes Wetter. Und zack hatte ich eine Einladung nach Riga im Postfach!
Du warst gemeinsam mit den regionalen Verlagen Paperento und Mirabilis vor Ort. Mit dem Roman von Inga Gaile hat es sozusagen sofort »gefunkt« – woran lag das?
Richtig, mit Jens Korch vom Paperento Verlag und Barbara Miklaw vom Mirabilis Verlag arbeite ich gern zusammen, uns verbindet neben der Arbeit eine Freundschaft. Und so haben wir diese Reise gemeinsam angetreten – der Rest der Gruppe kam aus aller Herren Ländern: Kanada, Armenien, Estland, aber auch andere deutsche Verlage waren dabei … Das war so inspirierend und spannend; die Literaturagentur hat es einem wirklich leicht gemacht, sich in dieses Land und seine Menschen zu verlieben.
In Vorbereitung auf die Reise hatte ich bereits mehrere Leseproben von verschiedenen Autoren und Autorinnen durchgearbeitet, und bei Inga Gaile hat es wirklich bereits auf den ersten Seiten gefunkt. Sie hat eine wahnsinnig zarte und gleichzeitig kräftige Stimme, ihre Sprache ist sehr poetisch. In Lettland ist sie eine der bekanntesten Autor*innen, Vorsitzende des PEN und wurde auch schon in verschiedene Sprachen übersetzt, vor allem ihre Lyrik.
Noch dazu nimmt ihr Roman seinen Anfang in Deutschland …
Der Geschmack von schwarzer Erde (Originaltitel Skaistas) beginnt im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte überhaupt: Die Protagonistin Violette ist eine der politisch Inhaftierten im KZ Ravensbrück. Als ich beim Mittagessen auf die Autorin traf, war meine Entscheidung eigentlich schon glasklar: Sie ist nicht nur eine starke Erzählerin, sondern auch eine sehr faszinierende Person.
Im Verlauf handelt Der Geschmack von schwarzer Erde von drei Frauen und dem Kriegstrauma, das sich über Generationen vererbt. Wie wichtig ist dieses Thema für das Projekt?
Die Geschichte sollte uns ein lautes »Nie wieder!« zubrüllen. Nie wieder darf es passieren, dass Menschen andere Menschen aufgrund ihrer politischen Haltung, Religionszugehörigkeit, Sexualität oder körperlichen/psychischen Unterschiede etc. ausgrenzen oder, wie im Nationalsozialismus in seiner perfidesten Form geschehen, diese ermorden, demütigen, zum Suizid drängen. Dass diese Traumata sich über mehrere Generationen vererben, wissen wir.
Eine klare politische Haltung gegen rechts ist mir immens wichtig, und auch Frauenthemen sind sichtbar zu machen. Das spielt in dem Buch eindrucksvoll zusammen.
Zeitgleich soll der Roman ins Deutsche, Serbische, Spanische und Estnische übersetzt werden. Einige größere Verlage ärgerten sich, als die Lizenz schon vergeben war. Wie viel Potenzial siehst du in der baltischen Bestsellerautorin?
Ich weiß, dass der Zugang zu lettischer Literatur nicht einfach ist. Dieses Buch muss man sich wirklich erarbeiten. Jede Seite tut weh, die Thematik und Inga Gailes Art zu schreiben geben ein »einfaches« Leseerlebnis überhaupt nicht her. Aber die Autorin versteht es wahnsinnig gut, einen an die Hand zu nehmen und durch diesen Albtraum zu führen. Darauf muss man sich einlassen. Was man aber sofort merkt: Die Sprache ist so einnehmend, so abseits der Lesegewohnheiten! Ich mag es sehr gern, mal ganz anders zu lesen. Und das schafft dieses Buch.
Außerdem muss ich an dieser Stelle der Übersetzerin Bettina Bergmann ganz großen Respekt zollen. Ich weiß, wie viele Nächte sie sich um die Ohren geschlagen hat, wie viele einzelne Wörter und Sätze sie tausendfach hin und her überlegt hat, bis sie passten. Die Lyrik, die dem Original innewohnt, konnte sie unglaublich auf den Punkt ins Deutsche übertragen. Das allein hat ganz viel Potenzial. Und der Text spricht für sich.
Mit Bettina Bergmann übersetzt den Stoff auch eine Frau – war dir das wichtig? Warum hast du dich für sie entschieden?
Bettina Bergmann hat meine Liebe zu Lettland angestoßen, beziehungsweise wiedererweckt. Daher lag es für mich auf der Hand, mit ihr zusammenzuarbeiten. Da Der Geschmack von schwarzer Erde ein Stoff ist, der viel Weiblichkeit in sich trägt – wir haben fast nur weibliche Protagonistinnen –, kam von vornherein für mich nur eine Frau für die Übersetzung infrage. Dazu kommt, dass es nur eine einstellige Anzahl an Übersetzer*innen aus dem Lettischen ins Deutsche gibt. Aber selbst wenn das anders wäre: Ich wertschätze respektvolle und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Und das wusste ich bei Bettina Bergmann sofort zu finden.
Du sagst, das Buch passt wunderbar in dein Programm … Kannst du das ausführen?
Mein Bestseller im Ultraviolett Verlag ist immer noch »Himmel voller Schweigen«, ein Buch über die wiederentdeckte Biografie des Komponisten und Musikers Walter Frick, einer der vielen Opfer der T4-Morde der Nationalsozialisten. Die Autorin Julia Gilfert ist dem Leben ihres Großvaters nachgegangen, der von seinem eigenen Schwager in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde und diese nicht lebend verlassen konnte. Sie schafft es wunderbar, seine Geschichte in einer Erzählung zu konservieren, das heißt überhaupt ans Licht zu bringen.
Dieses »Gegen das Vergessen« spiegelt sich auch in »Der Geschmack von schwarzer Erde« wider. In einer anderen Form erzählt, völlig klar, aber beide Bücher gehen thematisch Hand in Hand. In diese Richtung möchte ich gern weitere Projekte erarbeiten, das finde ich persönlich unglaublich bereichernd und wichtig.
Lettische Literatur in Deutschland zu vermarkten, schätzt du als herausfordernd ein. Wo liegen die Hürden, die es zu meistern gilt?
Dass Inga Gaile in ihrer Heimat ein Star ist, ist im deutschen Sprach- und Literaturraum erst zu wenigen Menschen durchgesickert. Ganz ehrlich: Viele bekommen noch nicht einmal die baltischen Staaten mit ihren Hauptstädten zusammen, von der Geschichte dieser Länder und ihrer reichen Kultur mal ganz abgesehen. Daher fange ich auch mit einer Autorin wie Inga Gaile in Deutschland bei Null an. Ich bin ein großer Fan davon, jenseits des Mainstreams zu publizieren, freue mich über jede Perle, die große Verlage liegen lassen, wenn es beispielsweise um Debütautoren und -autorinnen geht, und scheue mich nicht davor, kleine Sprachen übersetzen zu lassen. Ich sehe darin im Gegenteil eine große Chance, sich abzuheben von anderen Programmen.
Und kleine Sprache heißt im Fall von Lettland ganz große Literatur. Man schaue sich nur Laura Vinogradovas Wie ich lernte, den Fluss zu lieben an. Der war sofort in meinen Top 3 des letzten Jahres. Ganz eindrucksvoll, wie ich finde. Und ohne den Mut kleiner Verlage würden diese Bücher nie ins Deutsche übertragen werden. Was für ein Verlust!
Du bist generell offen für neue, auch digitale Methoden. Hast du Erfahrung mit Crowdfunding?
Für den Eckhaus Verlag, den ich auch betreue, habe ich bereits ein Crowdfunding-Projekt erfolgreich umgesetzt, das hieß Jenseits der Perlenkette. Allerdings war das ein Foto- und Textband zu thüringischen Kleinstgemeinden. Ich muss feststellen: Die Belletristik hat es ungleich schwerer im Crowdfunding. Das mag daran liegen, dass bei dem anderen Projekt viel mehr Menschen beteiligt waren, was mehr Multiplikatoren bedeutete. Die fehlen mir hier, daher muss ich ganz schön um Sichtbarkeit kämpfen.
Nun hat die Kampagne aber ihren Mindestbeitrag erreicht – herzlichen Glückwunsch Was bedeutet das?
Das bedeutet erstmal, dass die Finanzierung der Übersetzung seinen Gang geht.
Allerdings, ein Buch zu verlegen, ist immer ein wenig luftleerer Raum. Man weiß nie, wie erfolgreich das Projekt wird, ob es sein Publikum und damit Käufer*innen findet, muss aber trotzdem in Vorleistung gehen. In diesem Fall: Lizenzen für die Übersetzung erwerben, die Übersetzerin bezahlen, Lektorat, Layout, Werbung und nicht zuletzt den Druck – alles muss vorher bezahlt werden, bevor man auch nur ein einziges Buch verkauft hat. Man zittert immer vorher, ob das Geld wieder eingespielt wird. Wenn man aber vorab Bestellungen hat, kann man damit schonmal Posten bezahlen. Und das verschafft enorme Planungssicherheit. Schöner Nebeneffekt: Man hat bereits Werbung im Vorfeld.
Und die Unterstützenden haben vorab die Möglichkeit, sich ein signiertes Buch zu sichern, im Dankeswort erwähnt zu werden, mehrere Bücher lettischer Literatur als Paket zu bekommen – das ist schon ein schöner Anreiz, den man damit schafft.
Mit der Crowdfunding-Kampagne willst du vor allem die Produktionskosten absichern – warum ist der Buchdruck hier besonders aufwendig?
In Lettland ist es zum Beispiel die Regel, Bücher im Hardcover, also mit festem Umschlag, herauszubringen. Das ist in der Produktion deutlich teurer als ein Taschenbuch. Aber wir wollten dem Original in Sachen Qualität nicht nachstehen. Dazu kommen Lizenzgebühren, um sich die Rechte für die Übersetzung vom Verlag zu sichern, Übersetzungskosten fallen an, die bei einem Roman aus dem Deutschen ja nicht vorliegen, und das Risiko, dass das Buch »untergeht«, ist auch gegeben. Das hat ja gar nichts mit der Qualität eines Inhalts zu tun, sondern mit der schieren Flut der Bücher, die jeden Tag aus Druckereien kommen. Da haben es Romane, die sich mit so schweren Themen beschäftigen, ungleich schwerer als ein leicht zu lesender Krimi oder Liebesroman. Deswegen war es mir wichtig, ein wenig Planungssicherheit zu haben und bereits im Vorfeld auf das Buch hinzuweisen.
Werbung, Website, Probeübersetzung … Wie viel Vorleistung kalkuliert man ein, obwohl das Projekt vielleicht gar nicht stattfindet?
Stattfinden wird das Buch, das steht fest. Davon lass ich mich ganz sicher nicht abbringen, da bin ich hartnäckig! Das Buch ist so eindrucksvoll, das muss auf den deutschen Markt. Aber man hat bei Übersetzungen unglaublich viele Mehrkosten, die man wirtschaftlich abfedern muss. Allein die Vorleistungen, schon das Crowdfunding aufzusetzen, kosten wahnsinnig viel Energie, Zeit und auch Geld. Bei der Unmenge an Literatur wartet kein Mensch auf eine Erstübersetzung aus dem Lettischen, das muss man erst kommunizieren und die Menschen erreichen.
Die Unterstützer*innen des Crowdfundings erhalten als Dankeschön das signierte Buch oder sogar eine Wohnzimmerlesung zu Hause. So kurz vorm Endspurt: Wie ist der Stand? Hast du noch Überraschungen in der Hinterhand?
Das Crowdfunding bietet den Lesenden viel mehr Nähe zum Buch. Wo hat man denn schon einmal die Chance, ein signiertes Buch einer lettischen Bestsellerautorin zu bekommen? Oder im Buch genannt zu werden? Oder sich die Übersetzerin ins eigene Wohnzimmer zu holen und sich etwas über die Arbeit an solchen Büchern erzählen zu lassen?
Zudem hat mir Inga Gaile ins Deutsche übersetzte Gedichte geschickt, die jede*r als Dankeschön für seine Spende am Ende erhält. Ich selbst mag es, Crowdfundingprojekte zu unterstützen und mich durch die Portale zu klicken. Ich finde da immer so spannende Themen, auch jenseits der Literatur, auf die ich ohne diese Plattformen nie stoßen würde.
Da wünschen wir viel Erfolg!
Das Gespräch führte Josefine Gottwald.
Die Kampagne läuft noch bis zum 30.06.
Hier geht es zur Aktion: https://www.startnext.com/schwarze-erde