Autorenfoto Franzobel, Bild von Julia Haimburger
06.07.2020
Annett Groh

»Eigentlich hat alles mit Recherche zu tun«

Franzobel tritt sein Amt als Dresdner Stadtschreiber an

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Am 9. Juli tritt Franzobel sein Amt als Dresdner Stadtschreiber mit einer Lesung im Kulturpalast an. Geboren 1967 als Franz Stefan Griebl, lebt er als freier Autor in Wien. Bis 1991 war er bildender Künstler. Als Schriftsteller erhielt er zahlreiche Preise, u.a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Sein 2017 erschienener Roman Das Floß der Medusa stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet.

Zuletzt erschien 2019 Rechtswalzer, ein dystopischer Kriminalroman: Im Österreich des Jahres 2024 ist eine neue Partei – LIMES – an die Macht gekommen und höhlt langsam das demokratische System aus. Die meisten Leute schweigen dazu, weil es ihnen anscheinend besser geht mit den Populisten. Protagonist Malte Dinger lernt, wie schnell man in einer Diktatur unter die Räder geraten kann: Dinger, unbescholtener Bürger und Inhaber einer Bar, wird beim Schwarzfahren erwischt und landet sofort im Gefängnis. Parallel ermittelt Kommissar Groschen, den Franzobel-Leser bereits aus Groschens Grab und Wiener Wunder kennen, in einem Mordfall, in den auch LIMES verwickelt ist.

Zu seinem Roman inspiriert hatten Franzobel die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Kurz und Strache sowie die gesellschaftlichen Zustände in radikaleren Systemen wie beispielsweise in der Türkei. Er erzählt: »Als ich das Buch schrieb, gab es bei uns das Schreckgespenst, dass eine rechte Regierung das Land übernimmt und schrittweise daran arbeitet, ein der Diktatur nahestehendes System zu etablieren. Damals bin ich davon ausgegangen, dass diese Koalition lange Zeit Bestand hat. Dass sie so schnell zerbröckelt, war eigentlich nicht zu erwarten gewesen.«

In seiner Zeit als Dresdner Stadtschreiber will Franzobel sich dem Thema DDR annähern. Er plant einen historischen Roman über einen Mann, der zu DDR-Zeiten ein familiäres Doppelleben führt. »Die Parallelfamilie scheint mir eine schöne Metapher für das Leben in verschiedenen Wahrheiten zu sein, nicht nur für die DDR, auch für die Gegenwart« (zitiert nach Börsenblatt).

Für das Literaturnetz haben wir Franzobel drei kurze Fragen gestellt:

Was haben Sie – abseits von Recherchen etc. – zuletzt mit Gewinn gelesen?

Eigentlich hat alles, was ich lese, mit Recherche zu tun. Das letzte Buch, das mir sehr gut gefallen hat, war von dem niederländischen Chirurgen Arnold van de Laar. Es heißt Schnitt! Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen und er schreibt über geschichtliche Geschehnisse aus chirurgischer Sicht. Das war auch ein bisschen grauslig, aber sehr spannend, weil es Geschichte völlig anders darstellt.

Gibt es ein Buch oder einen Autor, zu dem Sie immer wieder zurückkehren?

Die Sprache von Heimito von Doderer finde ich immer wieder interessant. Thomas Bernhardt vielleicht auch, aber ihn kann ich nur in kleinen Dosen genießen. Die Sprache von Tom Wolfe finde ich sehr spannend, und bei Stephen King ist es der unglaublich gute Spannungsaufbau. Wen ich auch als wichtigen Autor sehr schätze, ist Thomas Harlan, der Sohn des Regisseurs Veit Harlan.
Die Blendung von Elias Canetti hat mich sehr inspiriert, als ich sie mit Anfang zwanzig gelesen habe. Als ich sie jetzt wieder zur Hand genommen habe, konnte ich überhaupt nichts mehr damit anfangen. Ein Buch gilt vielleicht immer nur für eine gewisse Zeit im Leben, und manchmal ist es dann besser, wenn die Erinnerung daran mehr stimmt als die aktuelle Überprüfung.

Sie waren schon an anderen Orten Stadtschreiber – was wünschen Sie sich von Dresden?

Wünschen würde ich mir, dass ich interessante Leute kennenlerne, die mir spannende Geschichten erzählen. Das ist doch die Hauptsache, warum man irgendwohin fährt.

 

Die Antrittslesung findet am 9. Juli 2020 um 19.30 Uhr statt und ist per Live-Stream zu erleben.