Uwe Tellkamp bei seiner Buchpremiere, Bild von Andreas Gräfenstein
12.04.2020
Tomas Gärtner

Gemalter Charakter und Markt

zu Uwe Tellkamps erzählenden Essay »Das Atelier«

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Mit seinem neuen Buch Das Atelier ist Uwe Tellkamp am 7. März im Kultur-Haus Loschwitz gewesen. Das Werk ist etwas zwischen Reportage, Essay und Erzählung, montiert aus unterschiedlichen Fragmenten, poetisch in der Sprache, was es zu etwas Besonderem macht. Namen wie Fabian, Christian Hoffmann, Orion, die Bezeichnung »Treva« für eine Stadt – wahrscheinlich Berlin – deuten auf Verbindungen zum neuen Roman Lava, den Suhrkamp für Frühjahr 2021 angekündigt hat. Doch handelt es sich um einen eigenständigen Text, wie die Herausgeberin versichert. So baumeln die Verbindungsfäden wie lose Enden herab. Also nicht irritieren lassen.

Es geht um Maler, zeitgenössische, Vertreter der Romantik und der Moderne des 20. Jahrhunderts, alle mit Bezug zu Leipzig oder Dresden. Wir blicken in Ateliers, erfahren, welchen Grundsätzen sie folgen, wie und mit welcher Bildsprache sie arbeiten und unter welchen Bedingungen.

Ein scharf kritischer Blick wird auf den globalen Kunstmarkt geworfen, auf dem jährlich angeblich mehr als fünfzig Milliarden Dollar umgesetzt werden. Ein Dresdner Maler konstatiert: »Es ist einfach zu viel Geld im Spiel.«

Es gibt tiefgehende Bildbetrachtungen, etwa zu Curt Querner oder Osmar Schindler. Bereichernd sind die Gespräche über Otto Dix: Wie wird eine dargestellte Person zum Charakter? Er müsse als »Mensch in seiner Ganzheit, Widersprüchlichkeit, mit all seinen Charakterschichten« erfasst werden, sonst gerate ein Bild zur Karikatur. Wovor auch Tellkamp als Schriftsteller sich hüten möchte, weil das zu bequem sei, verenge. »Für Karikatur gibt es oft Beifall, aber er ist zu leicht verdient.« Eine wichtige Erkenntnis.

Tellkamp selbst porträtiert einen Leipziger Künstler namens Martin Rahe. Neo Rauch lässt sich unschwer erkennen, sacht verfremdet zur literarischen Gestalt, die »transrealistische« Bilder malt. Die versetzen den beschreibenden Autor in einen Sprachrausch, der kaum Erkenntnisse verschafft, uns ratlos zurücklässt. Rahe, erfahren wir, sei mit einer Zeitungskampagne angegriffen worden. Warum, erfahren wir nicht.

Aber, dass er Unverständnis erntet, wenn er das »Soldatische« für etwas Gutes hält. Da ist der Autor ganz auf seiner Seite. Seien doch große Kunstwerke in Malerei und Musik undenkbar ohne »Soldatentum«.

Zweifelsohne braucht es für ein Werk außer Genie und Inspiration auch Disziplin und Sitzfleisch. Aber sollen wir uns Bach und Mozart mit den Händen an der Hosennaht vorstellen? Soldaten sind Teil eines Apparates, der, gelenkt mit Befehl und Gehorsam, bestimmt ist, Menschen zu töten, im günstigsten Fall, um andere zu schützen. In Dix’ Kriegsbildern ist zu besichtigen, was sie anrichten und erleiden. Im Soldaten wird der Mensch zum Rädchen im Getriebe reduziert. Ihn mit einem in freier Kreativität Unverwechselbares schaffenden Künstler zu vergleichen, ist Unsinn.

Aber mit jungenhaftem Vergnügen ballert der Autor mit Maler Rahe und dessen Galeristen Carl Bunke, Gerd Harry »Judy« Lybke nachempfunden, mit der Luftdruckpistole auf gemalte »Lieblingsfeinde«. Wobei er etwas »Meditatives« spürt, als er den Abzug betätigt.

Ehe wir den Herren die Mitgliedschaft in einem Schützenverein empfehlen, wenden wir uns Stellen zu, die man mit Gewinn liest. Dazu zählen die Gespräche mit dem Maler Thomas Vogelstrom, für den Hubertus Giebe Pate gestanden hat. Der verfügt über die herrlichsten Schimpfwörter für Kunstmessen und Kunsthochschulprofessoren. Spricht mit seinem Unverständnis über vermeintliches Pathosverbot und Ironiezwang in der Kunst dem Autor aus dem Herzen. Die nächtliche Debatte mit ihm, dem Erzähler sowie Museumsdirektor Rolf Günther in der Galerie im Schloss Burgk in Freital, die dank mehrerer Flaschen Weißburgunder aus dem Ruder gerät, ist ein amüsanter Höhepunkt.

Nach abruptem Schnitt schwenkt der Autor am Ende auf den von den Nazis bedrohten Ernst Barlach, dessen Name nicht genannt wird. Was der mit dem Ganzen zu tun haben soll, erschließt sich nicht.

erschienen am 5. März 2020 in: Dresdner Neueste Nachichten (DNN)/Kultur