Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Leif Greinus, Voland und Quist, Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
Frankfurter Buchmesse 2021 (c) Juliane Moschell
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25.10.2021
Juliane Moschell

Gewesenes und Kommendes:
»Welten auseinander«

Ein Tag auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2021 

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Sie freue sich nach langer Zeit wieder auf der Buchmesse lesen zu dürfen, sagt Julia Franck im Gespräch mit der FAZ-Redakteurin Melanie Mühl, es sei diesmal aber ganz anders: die leeren Gänge vor ihr und die Stille böten eigentlich den idealen Rahmen, um zu lesen. Pandemiebedingt fehlen diesmal viele Fachbesucher. Nach einer kurzen Pause beginnt sie – es ist Donnerstag, 11 Uhr, Halle 3.1, Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, etwa 15 Besucher sitzen auf den weit auseinander gestellten Würfelhockern -, ihre Stimme formt ruhig und wohlüberlegt die Sätze, die Worte steigen wie aus Tiefen empor, in denen sie über viele Jahre wie in Echokammern ausprobiert wurden. Julia Franck hat nach zehn Jahren (endlich) ein neues Buch veröffentlicht: Welten auseinander, ein persönliches Werk, in das sie Erlebnisse und Erfahrungen ihrer eigenen Biografie einfließen lässt. Gleichzeitig scheint es auch die Erfahrungen vieler anderer widerzuspiegeln. So fühle auch ich mich durch die wenigen Sätze an die eigene Vergangenheit erinnert, als ob sich eine fremde Erinnerung mit meiner eigenen wie selbstverständlich verknüpft.

Im Gespräch mit der Moderatorin kommt Julia Franck auf die Auseinandersetzung mit Vergangenem zu sprechen. Ihr Schreiben sei eine Art »in Form bringen« von Erinnerungen, ein Ablegen. Dies ist dann auch die Antwort auf die Frage, weshalb Julia Franck ihren Vorlass bereits mit 49 Jahren an das Literaturarchiv Marbach gegeben hat. Als einen weiteren Grund nannte die Autorin des Romans Die Mittagsfrau (2007) finanziellen Schwierigkeiten. Zwei Romanprojekte seien gescheitert, und sie habe aus Geldmangel in eine kleinere Wohnung ziehen müssen. Das Literaturarchiv habe die Möglichkeit geboten, ihre Schriften, Dokumente und Recherchen aufzubewahren. Das ist kein Einzelfall. Ich höre immer wieder von Schriftstellerinnen und Autoren, dass es trotz großer Bucherfolge auch lange Lebensphasen in prekären und ungewissen Verhältnissen gibt und sie daher keine Rücklagen oder Altersvorsorge aufbauen können.

Julia Francks Auftritt hat tief beeindruckt: er erinnert mich an die vielen schönen Erlebnisse auf Buchmessen in den vergangenen Jahren, an Lesungen und anregende Gespräche mit klugen Menschen. War das nicht auch der eigentliche Grund, weshalb ich Buchmessentermine in Frankfurt und Leipzig für mich zu jährlichen Pflichtterminen erklärt habe?

Die Buchmesse 2021 ist anders als alle anderen, die ich zuvor erlebt habe. Leere Gänge, Stille. Keine Menschentrauben an den Ständen und bei den Veranstaltungsflächen, keine Schlangen, keine Signiermöglichkeiten, keine überambitionierten Verlagspräsentationen und keine sich überlagernden Lautsprecherstimmen. Das Gewusel fehlt, dafür gibt es Zeit zum Innehalten. Ich kann Bücher durchblättern, ohne dass mich jemand anrempelt, lesen, ohne störende Geräusche – und dann ist sie da, die Erinnerung. Ich erinnere mich, wie ich als zehnjähriges Mädchen mit meiner Mutter die erste Buchmesse in Frankfurt erlebt habe. Es war, als wäre ich eine Alice im Wunderland, ich fiel in eine neue Welt, voll lauter, unglaublicher Worte, Bilder, Menschen und Neuigkeiten. Jedesmal wenn ich in den Jahren danach auf die Buchmesse fuhr, spürte ich dieses Kribbeln beim Eintauchen in diese gigantische Bücherwelt. Heute kribbelte es nicht, ich streife durch die leeren Gänge und besuche am Nachmittag lieber das neue Romantik-Museum im Großen Hirschgraben. Hier findet auf wundersame Weise erlebbare Erinnerung an die Vielfalt einer revolutionären Epoche statt. Die Romantik, die sich als Bewegung während eines großen historischen Bruchs herausbildete und die die Schwelle zur Moderne überschritt. Vielleicht stehen wir auch heute an der Schwelle und an Buchmessen werden wir uns in der Zukunft nur noch erinnern.

Auf dieser Messe gibt es mehrere Stände, die sich mit der Zukunft des Lesens beschäftigen. Ein kleiner Roboter blinkt und winkt mir entgegen, dahinter sitzen Menschen und starren auf Tablets. Ich frage mich, ob das eine Art der Erinnerung an die Zukunft sein könnte. Später am Abend strahlt mir eine Leuchtreklame entgegen (gleich neben dem Romantik-Museum!): »The future was better in the present«.

Wie erinnern wir uns? Wie werden wir uns erinnern? Wenn sich die Buchmesse bis auf den kleinsten Punkt reduziert haben wird, wenn es kein Papier zum Drucken von Büchern mehr gibt, wenn wir Autorinnen nur noch im digitalen Raum begegnen können und wenn uns überall Leuchtreklamen entgegenblinken oder Roboter zuzwinkern?