Buch und Bäcker*in verhalten sich scheinbar wie Küche und Küchlein: Das Buchmuseum der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) widmet dem bislang kaum erforschten süßen Nachtisch die erste Ausstellung des Deutschen Archivs der Kulinarik. In Folianten und Etageren zeigt die SLUB die Kulturgeschichte der Konditorei und des Desserts – vom Rokoko-Baiser bis zur Dederon-Schürze …
Im edlen Halbdunkel der Museumsvitrine liegt ein Kochbuch. Es ist das erste, das je gedruckt wurde. Es erschien um 1470. Verfasser war der Italiener Bartolomeo Platina, Präfekt der Vatikanischen Bibliothek. Neben Kochanleitungen gab er Tipps für den Haushalt. Platina meinte, dass Rettich, Fenchel und Anis die Verdauung fördern. Käse, glaubte man, kann das Aufsteigen giftiger Dämpfe aus dem Magen ins Gehirn verhindern. Doch schon ein knappes Jahrhundert später schwor die feine Tischgesellschaft auf Süßkram. Marx Rumpolt, der zwei Kurfürsten bekochte und Menüs für den Kaiser schrieb, empfahl in Ein new Kochbuch 1581 als dritten Gang kandiertes Obst, Dragees, Marmeladen oder auch Marzipan. Damit begann der Siegeszug des Desserts – die hohe Zeit der Zuckerbäcker und Pfefferküchler, Konditoren und Patissiers. Hauptberuflich mischen inzwischen auch Frauen mit.
Das Buchmuseum der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) widmet dem bislang kaum erforschten süßen Nachtisch eine Ausstellung. Im Zentrum der Schatzkammer steht unverrückbar die Maya-Handschrift. Sie liefert gleich die passende Zutat. Kakao galt in der präkolumbianischen Maya-Kultur als Geschenk der Götter, war Luxusgut und Währung zugleich. Eine der Abbildungen verheißt ein Festmahl. Was dazu noch fehlt, verraten Bücher über Zucker, Schokolade, Sahne, Eis, Obst und Gewürze. Die berühmte Schwarzwälder Kirschtorte findet sich erst ab etwa 1930 in Rezeptbüchern. Erst dann gab es eine Kühltechnik, die verlässlicher funktionierte als das Eis im Dorfteich.
Es ist ein großer Vorzug der Ausstellung, dass sie Zusammenhänge zeigt. Die Geschichte von Dessert und Konditorei wird eingebunden in wirtschaftliche, technische, gesellschaftliche Bedingungen und ästhetische Auffassungen. Moden spiegeln sich auf dem Teller. Ein interdisziplinäres Team der TU Dresden will die wechselseitigen Bezüge erforschen. Das Deutsche Archiv der Kulinarik, 2022 an der SLUB gegründet, liefert reichlich Anschauungsmaterial mit mehr als 50.000 Kochbüchern, Zeitschriften, Handschriften, Menükarten und anderen Objekten. Den Auftakt einer Publikationsreihe gibt das Buch Das Deutsche Küchen- und Weinwunder, erschienen im Transcript-Verlag (378 Seiten, 39 Euro). Josef Matzerath vom Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte – auch Mitkurator der Dessert-Ausstellung – rekonstruiert die exquisite Küche in Deutschland seit den 1970er-Jahren. Zwischen prominenten Spitzengastronomen wie Eckart Witzigmann und Johann Lafer, die Trends setzten, spielt der Osten eine überschaubare Rolle.
In der Ausstellung ist die DDR unter anderem mit dem Backbuch-Klassiker aus dem Leipziger Verlag für die Frau vertreten. Kalter Hund auf dem Titelbild. Das häusliche Kuchenbacken war im Lauf des 19. Jahrhunderts möglich geworden dank günstiger Zuckerpreise, moderner Küchenherde und der Erfindung des Backpulvers. Anhand historischer Stiche, Bücher und Filmaufnahmen verdeutlicht die Schau, wie industrielle Fertigung auf der einen Seite und familiäre Küchenkunst auf der anderen die Konditoren unter Druck setzten. Alle aber dienten sie dem Genuss. Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte hatten nicht nur die Bessergestellten etwas zum Naschen in den Taschen. Aber bitte mit Sahne, spöttelte Udo Jürgens in seinem schwarzhumorigen Song. Arglos servierte er darin einen Mohrenkopf. Fünfzig Jahre her.
Der Zeitgeist schwang schon im 19. Jahrhundert den Rührlöffel. Als die Antike schick war, bauten Konditoren griechische Tempel aus Zuckerwerk. Die Theoretisch-praktische Anleitung zur Kunstbäckerey von 1818 ähnelt einem Handbuch für Architekten. Später gerieten Schnörkel des Rokokos auf die Torten. Der Jugendstil zog seine Schleifen auf Keks und Krümel. Eine besondere Entdeckung im Buchmuseum ist der Konditormeister Bernhard Lambrecht mit seinen Werken. Er studierte zunächst am Bauhaus Weimar und orientierte sich an der viel zitierten Maxime »Form folgt Funktion«. Seine Torten bemusterte er abstrakt und nicht symmetrisch, wie es lange üblich war. Das Auge isst mit. Auch das Ohr isst mit. Und die Nase sowieso.
Der letzte Teil der Ausstellung verdeutlicht solche physiologischen Zusammenhänge. Man erfährt, warum dunkle Mousse au Chocolat erstaunlich gut zu frisch gerösteten Zwiebeln passt. Patissiers nutzen chemische Erkenntnisse für überraschende Kreationen. Hauptsache: süß. Zucker regt das Belohnungszentrum im Kopf an. Nur zu gern würde man das eine oder andere Törtchen von der üppig ausgestatteten Kaffeetafel im Buchmuseum entwenden. Man sollte nicht mit leerem Magen hingehen.
Die Ausstellung »Die süße Kunst – Eine Kulturgeschichte der Konditorei und der Desserts« ist bis 17. Januar 2026 im Buchmuseum der SLUB Dresden bei freiem Eintritt zu sehen. Geöffnet von Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Sonnabend 14 bis 18 Uhr. Zellescher Weg 18, 01069 Dresden, 2. OG.