»Ich denke, träume, lebe auf Deutsch!« Der syrischstämmige Dichter Fouad EL-Auwad ist Begründer des deutsch-arabischen Lyriksalons. Mit seiner Salontradition für Dichter*innen in zwei Sprachen reist er durch die Welt, einmal im Jahr ist das Format in Dresden zu Gast – und hier fühlt er sich so willkommen wie nirgends in Deutschland …
In Ihrer Ankündigung auf Ihrer Website schreiben Sie, Sie streben eine Begegnung der Kulturen auf literarischer Ebene an – warum ist Literatur ein gutes Vehikel dafür?
Wir brauchen den Kulturaustausch, vor allem auf dieser Ebene und zu dieser Zeit. Die Draufsicht und die politische Ebene, davon haben wir genug. Mit der Poesie setzen wir einen menschlichen Schwerpunkt. Auf der Webseite steht auch: »Poesie ist Quelle der Freude«. Diese zweisprachige poetische Freude möchte ich niemandem enthalten.
Sie wurden in Damaskus geboren und gehören daher in beide Kulturen, die Sie thematisieren – entstand der Gedanke aus einer Art Botschafter-Idee?
Zwischen den beiden Kulturen – in positiven Sinnen – zu sein, ist für mich einfach zu begründen: Ich beherrsche beide Sprachen, kenne beide Kulturen gut und lebe in der Welt der Poesie, daher wollte ich eine Bühne schaffen, auf der sich beide Kulturen poetisch begegnen. Der Anfang – 2005 – war eigentlich ganz einfach, da ich einige hochrangige Autor*innen, wie Ulrike Draesner, Ludwig Steinherr, Raoul Schott, Rainer Kunze, Fuad Rifka oder Nouri Al Jarrah gut kannte und sie für den ersten deutsch-arabischen Lyrik-Salon im Münchener Literaturhaus gewinnen konnte. Und das hat den Lyrik-Salon einen Schwung gegeben. Inzwischen wollen auch Schreibende aus Amerika, China und Indien dabei sein …
Inwiefern bietet es sich an, deutsche und arabische Poesie nebeneinander zu setzen? Gibt es da eine innere Verbindung oder eher einen Kontrast?
Im Hinblick auf ihre Philosophie liegen beide Sprachen dicht beieinander, und Philosophie und Lyrik sind oft verwandt. Beide sind Lyriksprachen, reicht an Metaphern – das macht sie gewissermaßen verwandt!
Dichten Sie selbst auf Arabisch?
Ich lebe jetzt seit 43 Jahren in Deutschland und bin mehr Deutscher als Syrer: Ich habe mehr Erfahrungen hier als in Syrien gemacht. Ich kann auf Arabisch nicht schreiben, sondern nur übersetzen. Ich denke, träume, lebe auf Deutsch! Sicherlich hat das mit einer prägenden Lebensphase zu tun, ich kam mit 16 Jahren hierher, in dieser Zeit bildet sich die Persönlichkeit aus. Der Übergang war jedenfalls ungewollt, in meiner frühen Jugend dichtete ich auf Arabisch.
Empfinden Sie diese Erfahrungen als identitätsbereichernd?
Die Identitätsfrage beschäftigt mich nicht. Man muss vielleicht diese Dinge selbst durchgemacht haben, um das besser zu verstehen. Ich stelle mir die Frage nicht, woher ich komme oder wohin ich gehöre. Ich sehe mich nicht als einer Seite zugehörig, sondern in erster Linie als Mensch. Das sollten wir alle tun, und diese Grenzen im Denken zu öffnen – dazu ist doch Kunst da.
Mit Ihrem Salon waren Sie in Aachen, München, Köln … Auch international gastieren Sie mit Ihrem Format – im Mai waren Sie in Marokko. Nun gefällt es Ihnen in Dresden aber besonders, woran liegt das?
Dresden ist die einzige unserer Gastgeberstädte, die den Salon willkommen geheißen und ihn bis jetzt komplett finanziert hat. Dank dem Literaturforum Dresden als Kooperationspartner. Ich sehe das als ein großes Entgegenkommen, ein gewissermaßen besonders gastfreundliches Verhalten. Man ist hier sehr bereit, die Kultur – gerade die interkulturelle Begegnung – zu unterstützen, das freut mich sehr.
Und der Austausch mit dem Publikum ist sehr bereichernd. Gerade in Dresden begegnen die Menschen dem Format mit viel Interesse und Neugier auf die andere Kultur. Oft werden mir dann auch Fragen gestellt, meist kommt es nach der Veranstaltung zu Gesprächen am Büchertisch.
Wovon handeln diese Gespräche?
Wir reden über Poesie und Kultur. Die Menschen erklären mir ihre eigene Interpretation der Gedichte. Schon auch über Themen im nahen Osten. Sie befragen mich zu sozialen Zuständen; es gibt philosophische, aber auch politische Fragen. Man sieht, dass sehr viele Unsicherheiten, auch viel Unkenntnis existieren … Aber ich freue mich über das Interesse, und ich merke auch, wie dabei das Verständnis zunimmt.
Wie wird der Salon im arabischen Ausland aufgenommen, ist man dort auch neugierig auf die deutsche Lyrik?
Als wir zum ersten Mal im Literaturhaus München zu Gast waren, war der Saal mit 450 Leuten gefüllt, was ich für Lyrik in Deutschland ungewöhnlich fand. Ich erinnere mich gut an diesen Moment, es war sehr euphorisch. Ein Jahr danach waren wir in Damaskus, in Kooperation mit dem Goethe-Institut – wissen Sie, wie viele uns da zugehört haben? Fünftausend Menschen! Es gab viele Fernsehsendungen darüber und Interviews mit allen Teilnehmenden aus Deutschland.
Wie verändert sich das Lesen dadurch, trägt man anders vor?
Wir lesen genau wie vor 20 Menschen. Wie groß das Publikum ist, spielt für die Atmosphäre keine wichtige Rolle. Wir freuen uns auch über zwei Menschen, die kommen, um zuzuhören – vielleicht bringen sie genauso viel Leidenschaft für die Lyrik mit, wofür woanders hundert nötig sind …
Wie würden Sie das Lyrikpublikum charakterisieren?
Ich lese seit 1982 vor deutschsprachigen Lyrikbegeisterten und kann nicht sagen, dass die Klischees stimmen: Lyrikfans sind keinesfalls ältere Menschen, das Publikum ist wirklich sehr bunt durchmischt. Was sie verbindet, ist die Neigung, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen; und das hat kein Gesicht.
Sie malen ja außerdem auch noch; würden Sie sagen, das Schreiben, die Kunst wirkt oft isolierend? Brauchen auch die Dichter*innen den Austausch?
So wie die Menschen den Austausch brauchen, brauche ich ihn auch in mir; Unsere Sinne kommunizieren mit sich und tauschen ihr Empfinden aus. Unsere Persönlichkeit blüht ja erst in der Interaktion auf. Ich bezeichne die bildende Kunst, Musik und Literatur als die »Adern der Kunst«. Diese Adern sind nie isoliert voneinander. Für mich ergänzen sie sich. Ich beschreibe in einem Gedicht beispielsweise ein Gemälde von mir oder von anderen Künstlern oder übersetze ein Gedicht von mir in die Sprache der Farben. Ich habe früher meine Gedichte in Begleitung der arabischen Laute gesungen. Also für mich sind Farbe, Rhythmus und Wort – diese Dreifaltigkeit – unzertrennbar.
Auch auf der Ebene der Dichter*innen braucht man den Austausch unter sich. Diese Art der Begegnung im Lyrik-Salon macht es möglich, mehrere Stimmen nebeneinander zu hören – nicht zuletzt erweitert das die Eindrücke, welche Arten von Lyrik es überhaupt gibt, für das Publikum und die Vortragenden.
Für dieses Jahr planen Sie auch noch einen eigenen Gedichtband. Bleibt Ihnen genug Zeit zum Schreiben?
Die nehme ich mir! Den Lyrik-Salon mache ich gerne, mein Leben besteht aus Poesie. Ich denke dabei nicht nach. Ich übersetze alle Gedichte sowohl ins Arabische als auch ins Deutsche, konzipiere die Umschläge, organisiere alles selbst – es ist gewissermaßen ein Vollzeitjob! Aber ich sehe mich dabei nicht als Veranstalter, eher als ein Dichter, der sich ein paar Freunde einlädt, um mit ihnen einen schönen Abend zu verbringen. Inzwischen lebe ich für das Projekt. Nichtsdestotrotz finde ich immer die Zeit, in der ich meine Kunst und meine Lyrik schaffe.
Sie organisieren alles allein?
Wenn ich gefragt werde, wie viele wir im Team sind, sage ich immer: Zehn Finger! Ich habe früher als Architekt, dann als Musiker gewirkt, beides habe ich zugunsten der Poesie aufgegeben – Lyrik ist mir einfach das Wichtigste! Die Frage nach dem Warum stelle ich mir dabei nicht, man macht das ohne nachzudenken.
Aber ich suche mir auch Unterstützer, oft vor Ort. Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia gehört beispielsweise zu den regelmäßigen Partnern, sie ermöglicht die Teilnahme für je zwei Dichter*innen aus der Schweiz. Das Kulturreferat der bayrischen Hauptstadt München oder der Kulturbetrieb der Stadt Aachen unterstützen regelmäßig mein Projekt – auch wenn es nur ein kleiner Teil der gesamten Kosten ist. Ich sehe es gern als gemeinsames Projekt, auch mit den Autor*innen: Bisher haben weltweit über 400 Dichter*innen teilgenommen, vor allem aus Deutschland und arabischen Ländern, aber auch aus anderen europäischen Ländern. Der bekannteste arabische Lyriker der Gegenwart Adonis war einer der AutorInnen des Lyrik-Salons im 2012.
Nächstes Jahr wird der Lyriksalon 20 Jahre alt, zum Jubiläum planen Sie die 20. Begleit-Anthologie. Wie kann man sich diese Veröffentlichungen vorstellen?
Die Anthologien erscheinen zweisprachig; ich übersetze und konzipiere alle Anthologien vom Satz bis Umschlag. In der Regel gibt es pro Jahr ein bis zwei Ausgaben – dieses Jahr waren es drei. Die Anthologien werden seit 2014 in Edition Lyrik-Salon über BoD verlegt; zu Beginn gab es Kooperationen mit anderen Häusern, zum Beispiel mit dem Allitera Verlag, der Edition Orient oder Malik in Aachen. Aber Lyrik ist eine Liebhabersache, das wirft für Verlage zu wenig ab. Und wenn ich die Texte selbst editiere, wird auch der Prozess einfacher und effizienter. In der Regel beinhaltet ein Band Gedichte von 14 bis 22 Autoren und Autorinnen.
Wie wählen Sie die Texte für Ihr Format, gibt es Themenschwerpunkte oder wonach wählen Sie Schreibende aus?
Themen in der Art von Mottos gibt es nicht. Was ich vermeide, sind intensive politische Themen, sonst dürfen die Texte ganz frei sein. Inzwischen schwimme ich förmlich in Zuschriften – innerhalb und außerhalb Deutschlands – ausschreiben muss ich das kaum. Es gibt aber auch feste Autoren, die immer dabei sind, wie Patrick Beck, Volker Sielaff, Ludwig Steinherr oder Christoph Leisten. Sie waren alle im letzten Band vertreten: Im Schatten der Tomaten regnet es nicht.
Ist die Anthologie für Sie die Möglichkeit, eine Referenz für die Dichter*innen zu schaffen?
Der erste Gedanke war, die poetischen Begegnungen in einer Anthologie zu dokumentieren: Die Lesungen können in Vergessenheit geraten, die Bücher nicht! Bis jetzt haben sich die Autorinnen und Autoren darüber sehr gefreut, ihre Gedichte in der anderen Sprache zu lesen. Einige von ihnen wurden in arabische Länder eingeladen und hatten gleich etwas in der Hand, woraus Sie lesen konnten – oder lesen lassen. Hier kann man doch sagen, die Anthologie ist in der Tat auch eine Referenz für die Autor:innen.
Was könnte sich jetzt für Sie noch entwickeln? Was wünschen Sie sich für den Salon?
Ein Projekt, das seit 19 Jahren existiert und eine Bühne des Austausches ermöglicht, 18 Anthologien und 15 Bände einzelner AutorInnen veröffentlicht, von einer einzigen Person organisiert, verdient doch weiter zu leben. Es wäre schön, wenn das Projekt auch an anderen Orten so gut unterstützt werden würde. Es gibt Städte, die diese Begegnungen noch mehr bräuchten; ich denke da an Hannover, Hamburg, Berlin … Manchmal stehen 12.000 Euro Kosten nur 1.500 Euro Förderung gegenüber – und oft muss man dafür noch 30 Seiten Antrag ausfüllen!
Das Gespräch führte Josefine Gottwald
Mehr Informationen unter www.lyrik-salon.de
Der Deutsch-Arabische Lyriksalon findet in Dresden am 30. August 2024 um 19 Uhr im Landhaus stat. Zur Veranstaltung
Fouad EL-Auwad, geboren 1965 in Damaskus, lebt als Lyriker, bildender Künstler, Erzähler, Übersetzer, Publizist und Herausgeber in Aachen. Neben zahlreichen eigenen Gedicht- und Prosabänden hat er bislang diverse Bücher unterschiedlicher Genres sowohl ins Deutsche als auch ins Arabische übersetzt und herausgegeben. Seine Lyrik wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in eigenen Bänden wie auch renommierten Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Seit 2005 kuratiert er den von ihm ins Leben gerufenen deutsch-arabischen Lyrik-Salon, daneben arbeitete für verschiedene deutsche Medien, wie FAZ, BR, Deutsche Welle und Deutschlandfunk.