Anfang der Achtzigerjahre treffen sich zwei mächtige Männer in Warnemünde: Uwe Barschel, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Alexander Schalck-Golodkowski, Staatssekretär im DDR-Ministerium für Außenhandel und Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung. Das Hotel Neptun gibt die passende Kulisse für ihren Deal.
Es geht um Luxus. Die DDR will die MS Astor kaufen, das einstige Traumschiff der gleichnamigen ZDF-Serie. Es gehört einer Reederei in Südafrika. Weil die DDR nicht mit dem Apartheid-Regime verhandelt, springt die Bundesrepublik ein. Das Schiff wird in Kiel umgebaut. Der Auftrag für die krisengeschwächte Werft stärkt das Ansehen von Regierungschef Barschel kurz vor der Wahl.
1985 kauft der VEB Seerederei Rostock das Schiff für 165 Millionen D-Mark. Die MS Astor wird zur MS Arkona. Verdiente Werktätige und treue Genossen gehen damit auf Reise. Doch in den Sommerwochen chartert die TUI den Kreuzfahrttanker für Westdeutsche. Das handverlesene DDR-Personal bleibt an Bord.
Ralf Günther verwandelt deutsch-deutsche Geschichte
Was wie ein Politthriller klingt, ereignete sich so oder ähnlich. Es ist nachweisbar, dass Barschel und Schalck-Golodkowski im Hotel Neptun abstiegen und dass sie miteinander Geschäfte machten. Waffen aus Suhl für Südafrika gehörten vermutlich dazu. Auch dass beide mit dem Kauf des Ex-Traumschiffs zu tun hatten, sei »höchstwahrscheinlich«, schreibt Ralf Günther im Nachwort seines neuen Romans.
Der Autor, 1967 in Köln geboren und seit langem in Sachsen zu Hause, verwandelt ein obskures Stück deutsch-deutscher Geschichte in Literatur. In Details folgt er den Zeitzeugen. Mit spürbarem Vergnügen erzählt er, wie die Arkona umgeräumt wird bei jedem Wechsel der Gäste. Die einen bekommen die Bibel in den Nachttisch und Roberto Blanco zur Unterhaltung, trockenen Weißwein und Johnnie Walker.
Fraternisieren mit dem Klassenfeind streng verboten!
Für die anderen wird die Bar mit Wodka und Stierblut gefüllt. Das Fernsehballett tanzt im Glitzerkleid. Auf der Menükarte steht Würzfleisch statt Ragout fin. Zu den kleinen Ost-West-Differenzen kommt im Roman die große Ost-West-Liebe. Ronni aus Dresden und Sabine aus Frankfurt am Main sind Anfang zwanzig, er einfacher Stewart, sie Passagierin der höheren Klasse. Ralf Günther porträtiert die Figuren einfühlsam und nuanciert.
Er schenkt Ronni eine glückliche Kindheit mit Filmen im Dresdner Faunpalast und Ostseeurlaub. Die liebevollen Eltern unterstützen seinen Traum von der Seefahrt. Ein einflussreicher Onkel verschafft ihm die Lehre im Hotel Neptun und den Job auf dem Devisenkreuzer.
Sabine wächst in einer hartherzigen, strengen Familie auf, studiert Jura und wird drogenabhängig. Eine Tante bringt sie von der Entzugsklinik direkt zum Schiff.
Diese Tante Hilde ist es auch, die den Verliebten hilft. Deren heimliche Treffen sind längst bemerkt. Die Stasi warnt: Fraternisieren mit dem Klassenfeind streng verboten! Der Politoffizier erpresst Ronni. Entweder geht der von Bord und wischt künftig die Sprelacart-Tische in Bahnhofskneipen, oder er bespitzelt die beiden West-Damen. Ein handfester Konflikt.
Männer stolpern immer über Frauengeschichten
Der Roman widerspiegelt die Risse im System, die politischen Verhältnisse zwischen Ost und West 1988. Erstaunlicherweise kennt sich nicht nur Ronni mit Abteilungen der Staatssicherheit aus, sondern auch Tante Hilde.
Die Dame im ballonseidenen Joggingdress entwickelt sich zur interessantesten Figur. Ihre heitere und bisweilen schrille Art kann Tarnung sein, mutmaßt Sabine. Die Tante gibt sich als Geheimnisträgerin zu erkennen, als einstige Referentin von Uwe Barschel. Der Politiker, im Jahr zuvor in einer Genfer Hotelbadewanne gestorben, sei auf jeden Fall in Machenschaften verwickelt gewesen.
Sie erzählt von seinen üblen Tricks gegen Rivalen, Waffenhandel und Schwarzgeld und erklärt die Devisenbeschaffung der KoKo, der Kommerziellen Koordinierung. Ronni kann dem Politoffizier Interna aus der Kieler Staatskanzlei liefern. Und sich weiter mit Sabine treffen.
Männer stolpern immer über Frauengeschichten, warnt Ronnis Onkel, der bei der nächsten Fahrt mit Ost-Touristen an Bord kommt. Er lässt sich feiern für den Kauf der Arkona. Spätestens da wird Onkel Alex als Alexander Schalck-Golodkowski erkennbar, großspurig und jovial.
Entscheidung zwischen Land und Liebe
Seine Geschichten über das Schiff und Uwe Barschel unterscheiden sich von Tante Hildes Version. Sie und Sabine, meint der Onkel, seien vom Bundesnachrichtendienst auf Ronni angesetzt – er soll sich zwischen Land und Liebe entscheiden.
Ralf Günther schildert, wie die politische Loyalität des jungen Mannes schwindet und am Ende ins Gegenteil kippt. Nach vielen Dialogen und treffenden Beobachtungen wächst die Spannung im Finale. Der Autor schildert die Szenen an Bord oft mit ironischem Blick. Noble Westgäste stehlen Löffel, Servietten und sogar alten Schiffszwieback mit dem Aufdruck »MS Astor« als Souvenir. Brave Ostbürger stehen geduldig Schlange, bis sie beim Probealarm in den Rettungsbooten platziert werden. Missverständnisse, Ignoranz und Vorurteile auf beiden Seiten kann Günther aus eigener Erfahrung beschreiben. Und ja, statt Grapefruit gab es im Osten Pampelmuse. Klingt hübscher.
Info: Ralf Günther: »Ein grenzenloser Sommer«. Kindler Verlag, 301 Seiten, 24 Euro.