Otfried Preußler: Krabat (dtv Verlag), Bild von Josefine Gottwald
27.02.2020
Tomas Gärtner

Poetisches Mitteleuropa für Kinder

Eine Wanderausstellung über Otfried Preußler im Dresdner Kulturpalast ist auch Start für eine digitale Literaturkarte der böhmisch-sächsischen Grenzregion

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Glückliche Kindheit in Reichenberg, Spaziergänge durchs Isergebirge. Die sudetendeutsche Heimat – nach Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft war sie verloren, ein Neuanfang im bayerischen Haidholzen bei Rosenheim nötig. Otfried Preußler (1923-2013) hätte hinreichend Gründe gehabt, in Wehmut zu verfallen, wie es nicht wenige taten, die das gleiche Schicksal ereilte. Doch er entschied sich anders; hielt Kontakte zu tschechischen Freunden.

Nach »Der kleine Wassermann«  (1956) und »Die kleine Hexe« (1957), seinen ersten Kinderbucherfolgen, brachte er 1962 »Kater Mikesch« heraus, die Nacherzählung einer Geschichte von Josef Lada, des bekannten tschechischen Schwejk-Illustrators. Die sorbische Krabat-Sage, von der er bereits in der Kindheit gehört hatte und die er später berühmt machen sollte, entdeckte er in einer Münchner Bibliothek – als Übersetzung aus dem Sorbischen ins Tschechische. In der Tschechoslowakei waren seine Bücher gleichfalls beliebt. »Krabat« wurde unter den Kindern dort 1977 als Zeichentrickfilm von Karel Zeman populär.

Dies und noch etliche weitere kaum bekannte Details seines grenzüberschreitenden Wirkens erfährt man in der Wanderausstellung »Krabat – Die Wege eines Zauberlehrlings«, die bis 2. März im oberen Foyer des Dresdner Kulturpalastes zu sehen ist. Acht Tafeln mit Fotos, Buchtiteln und viel Text, zweisprachig, deutsch und tschechisch.

Statt hausbackene Vertriebenenprosa zu drechseln, ließ Preußler Josef und Maria mit dem Jesuskind in »Die Flucht nach Ägypten« (1978) einen Umweg durch den »königlich böhmischen Teil« nehmen. An dieser Flüchtlingsgeschichte werden noch Generationen ihr Vergnügen haben. Was nicht zuletzt der sudetendeutschen Sprechweise zu verdanken ist, die darin für ewig aufgehoben ist. Preußlers Geschichten »überwinden die Beschädigung der Sprache mit ihrem eigenen Ton, sie erschaffen ein poetisches Mitteleuropa, in dem die Kinder Hoffnung haben dürfen«, wie der Dresdner Literaturprofessor Walter Schmitz anmerkte.

Preußler, der Mitteleuropäer, ist für Dr. Annette Teufel, Literaturwissenschaftlerin an der TU Dresden, ein Glücksfall. »Sein Werk ist frei von jedem revanchistischen Beiklang und eben kein nostalgischer Rückblick.« Er wurde auch zu einem Vermittler tschechoslowakischer Kinderliteratur in der alten Bundesrepublik West.

Beste Gelegenheit, mit der Eröffnung der Ausstellung über ihn das »Literarische Informationssystem (LIS) Böhmisch-Sächsische Literaturlandschaft« aus der Taufe zu heben. Hinter dieser technischen Bezeichnung verbirgt sich eine digitale Karte für Personalcomputer, Computertelefon (Smartphone) oder Tabletcomputer, die Informationen bietet, die in diesem Umfang weder in Reiseführern noch bei Wikipedia zu haben sind. Drei Jahre haben Wissenschaftler der beiden Technischen Universitäten in Dresden und Liberec (Reichenberg) gesammelt und daran gebastelt, unterstützt von Experten der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), finanziert aus dem Fonds für regionale Entwicklung der Europäischen Union (EU). »Wir sind über Land gefahren und haben beispielsweise mit Leuten gesprochen, die Dichterhäuser betreiben«, erzählt Viktor Hoffmann, einer der beiden Entwickler von der TU Dresden.

Herausgekommen ist so etwas wie eine Verknüpfung aus OpenStreetMap und Netzenzyklopädie. Man kann in der Suchfunktion einen Erinnerungsort eingeben, »Schillerhäuschen« etwa, und bekommt auf der rechten Seite Bilder und Informationen angezeigt, wie Birte Pietsch erklärt, die zweite Entwicklerin. Steht man unterwegs auf einer Wanderung vor einem Denkmal, das mit Literatur zu tun hat, schaltet man die Ortung zu und bekommt mitgeteilt, was die Wissenschaftler eingegeben haben.

Man kann sich alle Orte zeigen lassen, wo Spuren eines bestimmten Schriftstellers zu finden sind. 32 deutsche und tschechische stehen zur Auswahl; der jedem gebildeten Tschechen bekannte Nationalautor Karel Hynek Mácha etwa (1810-1836), hierzulande weitgehend unbekannt. Literarische Wandertouren kann man mit diesem System zusammenstellen oder Bildungsurlaube. Lehrer können analoge Klassenfahrten organisieren oder ihre Schüler rein digital durch die Karte fahnden lassen.

Auf drei Wissensebenen sei das möglich, erklärt Birte Pietsch. Auf »Entdecken« für den interessierten Laien, auf »Vertiefen« mit Informationen zu Rezeption und kulturellen Verbindungen und auf »Material« bei wissenschaftlichem Interesse.

Noch bis März 2020 läuft das Projekt. »Bis da hin wächst die Karte weiter«, sagt Viktor Hoffmann. »Danach wird sich das verlangsamen.« Gibt man allerdings Otfried Preußler ins Suchfeld ein, erscheint »Keine Ergebnisse«.

Kulturpalast Dresden, Foyer 2. OG, bis 2. März 2020, Mo-Sa 10-19 Uhr (3. – 30. März in der SLUB) Internet: www.literaturlandschaft.eu

erschienen in Dresdner Neueste Nachrichten (DNN) vom 18. Februar 2020/Kultur