Ralf Günther: »Die Könige von Babelsberg« (Rowohlt Kindler), Bild: Josefine Gottwald (erstellt mit canva.com)
15.11.2024
Karin Großmann

Skandal der Filmgeschichte

Zu Ralf Günthers Roman »Die Könige von Babelsberg«

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Fritz Lang war ein Jahrhundert-Regisseur, ein kühner Visionär, ein Revolutionär des Kinos. War er auch ein Mörder? Eine Zeit lang wurde er verdächtigt, seine erste Ehefrau erschossen zu haben, die jüdische Schauspielerin Elisabeth Rosenthal. Doch ihr Tod wurde als Unfall deklariert und schnell zu den Akten gelegt.

Niemand war interessiert, den Starregisseur hinter Gitter zu bringen. Als Goldesel nützte er der Babelsberger Filmindustrie der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre mehr. Mit dem Stummfilm Metropolis und dem Tonfilm M – Eine Stadt sucht einen Mörder schuf er Klassiker, die heute noch faszinieren. Er drehte insgesamt über fünfzig Filme und schrieb Kinogeschichte wie der Regisseur G.W. Pabst, über den Daniel Kehlmann den Roman Lichtspiel schrieb.

Der legendäre Fritz Lang und seine nicht weniger legendäre Geliebte Thea von Harbou sind die Hauptfiguren im neuen Roman Die Könige von Babelsberg von Ralf Günther. Der Autor lebte lange in Dresden und ist in Pirna zu Hause. Seine Romane und Novellen stellen Prominente ins Zentrum, wie den malenden Mediziner Carl Gustav Carus, den schriftstellernden Landschaftskünstler Fürst Pückler oder die reisende Theatergräfin Ida Hahn-Hahn. Sie werden in den Umständen ihrer Zeit gezeigt, eingebunden in konkrete gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Im neuen Buch erlebt man die schillernde Atmosphäre der sogenannten Goldenen Zwanzigerjahre in Berlin fast hautnah, die Tanzpaläste, Lichtspielhäuser und Varietés, den Rausch und die Exzesse, aber auch schon die aufziehende Gewalt.

In der ehelichen Wohnung in Wilmersdorf stirbt die Schauspielerin Elisabeth Rosenthal. Fritz Lang und Thea von Harbou melden den Tod der Polizei. Sie werden von einem jungen, eifrigen Kommissar verhört und sofort in Widersprüche verwickelt. Ihre Angaben sprechen für Suizid, alle Indizien für Mord. Daraus gewinnt der Roman seine Spannung. Der Autor porträtiert die Figuren glaubhaft und überzeugend. Fritz Lang erscheint als eleganter, abweisender und arroganter Künstler, der sich seiner Macht bewusst ist. Seine schöne Geliebte Thea von Harbou gibt sich leutseliger. Beim Verhör und im Filmatelier hat sie ihr Strickzeug dabei. Das sei verbürgt, erzählte der Autor Ralf Günther kürzlich bei der Buchpremiere in Radebeul. Thea von Harbou habe dafür gesorgt, dass Statisten etwas zu essen bekamen, für manche die einzige Mahlzeit am Tag, und habe auch noch lange mit jüdischen Künstlern zusammengearbeitet. Später unterstützte sie mit ihren Drehbüchern die Nationalsozialisten. »Ich liebe die Brüche in den Figuren«, sagt Ralf Günther. »Menschen sind nicht nur gut oder nur böse.« Das Glamourpaar bekommt dunkle Flecken.

Im Roman zitiert er Thea von Harbou mit einem Satz, der ein Schlüssel für sein Schreiben sein könnte: »Man muss Gefühle zulassen, um Papierfiguren zum Leben zu erwecken.« Gefühle seien wichtig, sagt Günther. »Doch der Verstand kommt dazu.« Es sei ein Balanceakt, zwischen beidem einen Ausgleich zu schaffen. Sein Roman hält die Balance. Als erfahrener Erzähler vermischt der Autor Fakten und Fiktionen. Und er liefert eine Deutung des mysteriösen Todesfalls, die es bislang in einschlägigen Biografien und Artikeln nicht gibt. Die Spur führt ins damals verbotene erotische Halbdunkel der Hinterzimmer, wo Trans-Menschen und Homosexuelle ihre Gefühle ausleben konnten. Eine Liebe zu dritt ist vielleicht aus dem Ruder gelaufen. Ralf Günther spricht von »künstlerisch zugespitzten Möglichkeiten der Wahrheit«. Das Verhältnis von Wahrheit und Lüge zieht sich als Konstante durch den Roman. Welchen Wert hatte die Wahrheit, fragt sich der junge Kommissar, wenn ein jeder sie sich zurechtschneiden konnte? Seine Freundin hält die Lüge allemal für bekömmlicher. »Ich will den Lesern Fantasieräume öffnen«, sagt Günther.

Der Autor hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert. Er konnte unter anderem im Literaturarchiv Marbach Briefe von Thea von Harbou lesen und die Deutsche Kinemathek nutzen. Doch nicht bei jedem Buch sei er ein akribischer Aktenleser, sagt er. Aufschlussreich seien vor allem die nachfolgenden Filme von Fritz Lang und Thea von Harbou gewesen: Immer wieder geht es um Dreiecksverhältnisse, um Tod, Liebe, Gewalt, um die Frage von Schuld und Unschuld. Aus psychologischer Sicht könnten diese Filme als Trauma-Bearbeitung gesehen werden. »Die Jüdin Elisabeth Rosenthal hingegen blieb auf der Strecke«, heißt es im Nachwort des Romans.

Die Könige von Babelsberg lässt sich als Krimi, Zeitbild, Liebesgeschichte lesen. Es ist auch eine Huldigung an den Film. »Regisseure wie Fritz Lang gingen völlig neue Wege, es gab noch keine Grammatik für den Film«, sagte Günther bei der Buchpremiere, die von der Buchhandlung Sauermann ausgerichtet wurde. »Heute beeinflusst der Film alle anderen Künste, das Theater genauso wie die Literatur. Auch mein Schreiben ist nicht frei davon.« Zugleich erfährt man in seinem Roman eine Menge über die Entstehung »wandernder Bilder« am Schneidetisch, über technische Raffinessen und den Alltag der Filmleute. Dazu gehörte der Kameramann Guido Seeber aus Chemnitz, der mit seinem Vater zur Verbreitung der Kinematografie in Sachsen beitrug. Er legte den Grundstein mit für die Filmlandschaft Babelsberg. Ralf Günther setzt dem weithin vergessenen Pionier ein schönes kleines Denkmal.

Ralf Günther: »Die Könige von Babelsberg«. Rowohlt Kindler, Hamburg 2024. 269 Seiten, 24 Euro. 

Ralf Günther liest am 29. Januar 2025 um 18.30 Uhr in der Bibliothek Prohlis aus dem Roman.