Der Name der Dichterin begegnete mir zum ersten Mal Mitte der siebziger Jahre, mit Erscheinen ihres Gedichtbandes Gutachten. In einer Zeit, in der eine Reihe von Autorinnen intensiver als zuvor mit ihren Werken, ihrer weiblichen Sicht auf die Gegebenheiten, an die Öffentlichkeit traten, wie etwa auch Helga Königsdorf, Irmtraud Morgner oder Helga Schütz. Das Einbringen einer weiblichen Perspektive, die Inanspruchnahme eines gültigen und nicht nur marginalisierten Platzes innerhalb der Literatur der DDR und der deutschsprachigen Literatur war ihnen gemein. Zugleich erwiesen sich diese sämtlich in den 30er Jahren geborenen Autorinnen als innovativ, offen für neue Formen, Experimente.
Elke Erbs Werk vermag beispielhaft dafür zu stehen, von ihrer ersten Veröffentlichung an bis hin zum letzten, noch zu Lebzeiten erschienenen Band Notizbuch Ende der 90er (Engeler Verlag, 2022). Was ihre Dichtung in allen Facetten und Übergängen, etwa auch ins Prosagedicht, auszeichnet, ist der Prozess- wie auch Dialogcharakter ihres Schreibens. Zeile für Zeile werden wir Zeugen veränderter, sich wandelnder Perspektiven und Sichten, und gewinnen möglicherweise den Eindruck, es mit einem Spiel zu tun zu haben, wiewohl es sich um stringent gegliederte Strukturen handelt. Sie spürt in dieser Weise den eigenen Empfindungen, Wahrnehmungen nach, den Sprachbewegungen, hinterfragt, seziert sie und setzt sie in ganz ungewohnter Art wieder zusammen und zueinander ins Verhältnis. Geleitet von Wortklang und -sinn, von Assoziationen und Assonanzen, einer Satz- oder Sprachmelodie. Und ganz gleich, ob es um Beobachtungen und Impressionen gelegentlich einer Reise geht, den Blick auf Zurückliegendes (Kindheit, Eltern, Mutter) oder etwa das Realisieren des eigenen Alterungsprozesses, der sich nicht ohne einen Schuss Selbstironie widergespiegelt findet: Jedes Wort scheint einen Widersinn in sich zu bergen.
Ihr ging es nicht um abgerundete oder abgeschlossene Texte, für sie bildeten sie lediglich einen Ausschnitt aus größeren, sich entwickelnden Zusammenhängen, Abläufen. Das Gedicht als Momentaufnahme, als Fokus auf ein Geschehen, das ein Vor- und Nachher hat. Nicht Wissen galt ihr als zentral im Schreibprozess, sondern das Erkunden, Entdecken, das Kommen lassen von Worten, Zeilen, das sich darauf Einlassen. Die Achtsamkeit den Worten gegenüber, der analytische wie selbstkritische Blick, und zugleich der spielerische Umgang mit Sprache. Dinge, die auch mir wichtig sind und wahrscheinlich einen der Gründe bilden für die anhaltende Anziehungskraft, die Elke Erbs Texte (nicht nur) auf mich ausüben. Texte, die über die Zeiten überhaupt nicht an Gültigkeit oder Präsenz verloren haben. Spätestens mit Vexierbild (1983) hatte mich ihre Dichtung vollends eingenommen. Einige Jahre darauf erschien Kastanienallee, den dort abgedruckten Gedichten hatte sie Kommentare beigefügt, Reflexionen, denen oft selbst schon wieder poetischer Charakter eignet. Kommentare, die den Entstehungsprozess der jeweiligen Arbeiten sichtbar machen, ihren Kontext und so einen Einblick in die Schreibwerkstatt gewähren. Eine Vorgehensweise, die sie hinsichtlich ihrer Veröffentlichungen bis zum Schluss beibehalten sollte.
Anfang der achtziger Jahre lernte ich Elke Erb auf ihre Einladung hin persönlich kennen, ich konnte erleben, wie es in ihrer Werkstatt zugeht. Sprechen und Schreiben schienen bei ihr oft in eins zu münden, diese assoziativen und reflektierenden Sprünge, denen ich anfangs kaum zu folgen vermochte, im Nachhinein aber jedes Mal als sehr anregend empfand. Elke Erb hat ab den achtziger Jahren viele jüngere Autorinnen und Autoren inspiriert, sie gefördert, ihre Arbeiten wertgeschätzt, deren Publikation unterstützt. Vor allem in der unangepassten Literatur- und Kunstszene in der DDR spielte sie eine zentrale Rolle, im Prenzlauer Berg und darüber hinaus. Und auch noch in späteren Jahren. Zudem haben wir ihr viele kongeniale Übertragungen von Gedichten vor allem aus dem slawischen Sprachraum zu verdanken, auch hier war sie eine Mittlerin von Literatur im besten Sinne.
Das letzte Wort soll Elke Erb selbst haben, mit drei Gedichten aus drei verschiedenen Bänden:
Zu gleich
Das eintretende Alter erheiterte mich
mit einer neuen Neugier und der Lust,
die Nase in Dinge zu stecken, die einen gar nichts angehen,
z.B. Diverses von Pflanzen:
Heimat in Mittelasien. So?
Hat eine Pfahlwurzel, ach?
Eingenommen sein im Alter ist getrennt sein zu gleich.
Ein Ich, das geht – und so kommt, wie es geht.
(aus: Das Hündle kam weiter auf drein. roughbooks 28, 2013)
Mit eins
»Da kommt was. – Wahrhaftig, kommt was!« sagte eine Latte zur anderen des rund unsere Sommervilla umschließenden Zauns. (Die Latte meinte, etwas käme die Allee herauf.) »Struzzi kommt da«, dachten die Fenster still hinter den Stirnen (verschrumpelter Jalousie). Es wurden ebenso still drinnen die Frühstücksbrötchen, happ!, verzehrt. Wahrhaftig, mit eins flog auf die sinnende Tür, schwuppdich durchs Ventil, die Diele, herein mit ihrem ständigen Sturzbach der Ohs und Jehs und Neuigkeiten und der Artigkeiten trat soeben die geborene Altwienerin. »Struzzi, Mädel!« rief man vom Frühstückstisch auch aus ihr zu.
(aus: Vexierbild. Aufbau Verlag, 1983)
Ablenkung im Zugfenster
Stetige Bäume zart.
Langhin zwischen den saatgrünen Feldern.
Es ist wahr, der Harz steigt an.
Lange Tunnel …
Maulwürfe … Das Stirnhaar – Gras.
Dieselloktreue.
In Arbeitshaft. – Gut erfaßt!
(Zikaden)
(aus: Meins. Roughbooks 006, 2010)
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