Den 15. Lyrikpreis der Landeshauptstadt Dresden erhielten der tschechische Dichter Petr Borkovec und der deutsche Dichter Georg Leß. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert. Der tschechische Dichter Kamil Bouška erhielt den Publikumspreis, der von der Euroregion Elbe/Labe gestiftet wird. Die Verleihung hat am Sonntag, 3. November 2024 im Festspielhaus Hellerau stattgefunden.
Annekatrin Klepsch, Bürgermeisterin für Kultur, Wissenschaft und Tourismus: »Mit dem Dresdner Lyrikpreis wird nicht nur eine repräsentative Ehrung und ein Preisgeld vergeben. Ich wünsche mir, dass er intensive Arbeitsprozesse und im besten Fall anhaltende Beziehungen stiftet. Grenz- und sprachübergreifend, in einem gemeinsamen europäischen Kulturraum, der auf vielfältige Weise sowohl historisch verwoben ist, als auch aktuell und ganz alltäglich von Menschen diesseits und jenseits der Grenze gelebt wird. So auch in der Organisation des Preises. Ich danke allen Mitwirkenden in beiden Ländern, besonders dem Erich-Kästner-Haus für Literatur und dem České literární centrum.«
Zu den Preisträgern
Petr Borkovec ( geboren 1970) lebt als Dichter, Übersetzer und Kulturredakteur in Prag. Wie keinem anderen Autor seiner Generation wird ihm von der Kritik souveräne Handhabung tradierter dichterischer Mittel und frühzeitige Entwicklung einer markanten Stimme bescheinigt, die auf eigenständige Weise in der Nachfolge der bedeutendsten Lyrik des 20. Jahrhunderts steht. Hervorgehoben werden das hohe intellektuelle Niveau, die expressive und formale Brillanz in den sehr unterschiedlichen poetischen Sphären und Genres, die Borkovec im Laufe seiner literarischen Entwicklung erkundete und zu beherrschen lernte, die Raffinesse und Subtilität seiner Poetik, die sich auch durch eine bemerkenswert geschliffene Ironie und einen spezifischen subversiven Humor auszeichnet, der sich nicht nur auf der sprachlichen Ebene vollzieht. Die Gedichte sind sehr sinnlich, es dominiert die Visualität, sein souveräner Umgang mit der Sprache scheint einen weiteren, sechsten Sinn zu generieren, den Petr Borkovec meisterlich beherrscht.
Georg Leß (geboren 1981) betreibt eine poetische Strategie der verblüffenden Zusammenhänge. Mit großer Kühnheit versetzt er die Wörter und Bedeutungen in das beinahe grausame Märchen der unzuverlässigen Wahrnehmung. Er ist großer Liebhaber von Horrorfilmen. Motive überlagern sich; nie ist es das, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. In seinen Texten sorgen kalkulierte Bildbrüche immer wieder für produktive Unruhe und für einen ganz eigenen Humor. Mit jedem seiner Bücher – darunter die Gedichtbände Schlachtgewicht (2013), die Hohlhandmusikalität (2019) und die Nacht der Hungerputten (2023) überrascht er in neuer Weise. »Mit jeder Silbe/ein anderer werden« heißt es einmal und das gelingt ihm wie keinem zweiten. Georg Leß gilt als einer der eigenwilligsten Dichter seiner Generation.
Kamil Bouška (*1979) gilt als Dichter-Provokateur, Enfant terrible der jüngeren mittleren Dichtergeneration Tschechiens. Er schöpft aus einer ausdrucksstarken Metaphorik und Assoziativität, aus dem Ablauschen mündlich überlieferter Sprache, die er auf einzigartige Weise mit einer kühl beschreibenden, dokumentarischen Distanz zu verbinden vermag, mit der er die unschönen, ja morbiden Züge erfasst, die der Mensch annimmt, in die er seine ursprüngliche Unbeflecktheit entstellt hat. Sein Humor ist schwarz, die oft düsteren Verse mit gesellschaftskritischem Appell legen eine verzweifelte Aggression und einen scharfen Witz frei. Die Jury hob seine jüngste einbändige Trilogie Dokumente (2023) hervor, die sie als eines der bemerkenswertesten Werke der tschechischen Literaturszene der letzten Zeit bezeichnete.
Hintergrund
Der Dresdner Lyrikpreis wird zur Förderung des gegenwärtigen poetischen Schaffens durch den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden alle zwei Jahre ausgelobt. Er richtet sich an Lyrikerinnen und Lyriker, die in deutscher oder tschechischer Sprache schreiben und in Europa leben. Mit insgesamt 15.000 Euro dotiert, wird der Preis in gleichen Teilen zu je 7.500 Euro verliehen. Begleitend erscheint eine zweisprachige Anthologie mit einer Gedichtauswahl aller Finalisten sowie deren Übertragungen bei edition AZUR (Verlag Voland & Quist, Berlin/Dresden) in Kooperation mit Protimluv Ostrava.
Im Verlauf eines intensiven fachlichen Austausches hat sich die binational besetzte Expertenjury, bestehend aus Wanda Heinrichová, Nadja Küchenmeister, Radek Malý, Pavel Novotný, Katharina Schultens und Hans Thill, auf die Finalistinnen und Finalisten für den Dresdner Lyrikpreises 2024 geeinigt. Die Jury tagte im Anschluss an die Finallesung am 2. November.
Partner und Förderer waren: Erich-Kästner-Haus für Literatur Dresden, Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, České literární centrum, Euroregion Elbe/Labe, Asociace spisovatelù, Literaturzeitschrift Tvar, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Čítárna Unijazz.