Francis Mohr: »Februar«, erschienen bei Editia, Bild vom Autor, Bearbeitung: Josefine Gottwald
02.02.2021
Josefine Gottwald

Wahnsinn in Gesichtern

Zu Francis Mohrs Roman »Februar«

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Eine Metropole in Ostdeutschland – in Teilen könnte sie Dresden sein: Die große Kirche, Altstadtkulisse, ein ehrwürdiges Opernhaus, sogar mit eigenem Opernball! Die etwas biedere Bevölkerung blickt zurück auf eine überstandene Flutkatastrophe:

»Autos standen wie zusammengetriebenes Vieh auf Anhöhen und Sandsäcke schützten bemüßigt und wehrlos Kellerluken und Zufahrten. Und von Stunde zu Stunde nagte sich der Fluss weiter in die Wiesen und Gärten. Hinterhältig schlichen er und das Wasser des Grundes durch die Kanäle, Abflüsse und von dort in die Keller. Pumpen erbrachen die Pfützen aus dem Tiefparterre auf die Straßen. Und von dort floss das Wasser wieder zurück in die Häuser.«

Doch im Mittelpunkt stehen politische Ausschreitungen anlässlich des »Gedenkens«, bei dem sich rechte und linke Radikale auf offener Straße bekämpfen und auch vor Zivilisten und der Staatsgewalt nicht Halt machen.

Komissar Kafka, der Klarheit in das wütende Gewirr bringen soll, ist umgeben von verschiedenen Charakterperspektiven. Die ebenso mürrische wie clevere Figur kennen Leser aus Mohrs Kurzgeschichten; in seinem neuen Fall muss er einen Psychologen für den Krisenstab gewinnen. Seine Wege kreuzen sich mit dem aus dem Westen zugewanderten Psychotherapeuten Fritz Sölle, der den ganz normalen Alltag eines geschiedenen Akademikers erträgt – aufgelockert durch die Sitzungen mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten: Zu seinen Patienten gehören eine rechte Aktivistin, deren Bewährungsauflagen eine Therapie einschließen, ebenso wie ein traumatisierter Linker, eine Polizistin mit Panikattacken und eine scheinbar völlig unbeteiligte Imbissbetreiberin mit Waschzwängen. Sie alle sind verschiedene Glieder derselben Katastrophe und ihr Schicksal entblößt sich im Roman als scheinbar zufällig miteinander verflochten.

Obwohl es erst in der Hälfte des Buches Tote gibt, galoppiert der Krimi über einen steilen Spannungsbogen, bei dem sich nach und nach die Geheimnisse der Protagonisten offenbaren, während die Situation auf der Straße sich immer mehr zuspitzt. Die Charakterentwicklung scheint von Mohrs eigenem Fachhintergrund motiviert: Der Einblick in die terapeutischen Sitzungen ist spannend, geradezu voyeuristisch, und betrachtet das politische Zentralproblem auf ganz persönliche Weise. Sein bildhafter Erzählstil tut dazu sein Übriges und macht den Dresdner »Februar« auf einer zugespitzten Ebene zu einem schockierenden und nachdenklichen Leseereignis – selbst für Unpolitische.

erschienen in DRESDNER Kulturmagazin 03/15 / Literatur