Das Team von Literatur Jetzt! erhält den Förderpreis zum Kunstpreis der Stadt Dresden 2024 (Foto: privat)
13.08.2024
Katrin Schumacher

Wenn nicht jetzt, dann wann?

Literatur JETZT! e.V. erhält den Förderpreis der Landeshauptstadt Dresden 2024

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Am 12. August 2024 wurde der Literatur JETZT! e.V. bei der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Dresden mit dem Förderpreis ausgezeichnet. In der Laudatio zeigt Katrin Schumacher Ausblick und Resümee:

Literatur JETZT! Literatur nicht dann und wann, nicht nebenbei, nicht übers Jahr, nicht unter der Nacht, unter der Bank, unterm Radar, Literatur JETZT! Wenn nicht jetzt, dann wann?

Das Jetzt kommt selbstbewusst in großen Buchstaben daher, mit Ausrufezeichen, und an diesem Jetzt möchte ich kurz mal innehalten, denn es steht ja für etwas, für eine bestimmte Idee, die mit der Literatur verknüpft ist, vielleicht diese: Es geht doch immer um den Moment.

Fangen wir mit dem kleinsten an. In Marion Poschmanns großem Roman Die Kieferninseln steigen ein deutscher Kulturwissenschaftler und ein japanischer Junge in die Landschaft, sie suchen historische Orte, suchen sich selbst, und an einem besonders schönen Platz ruft der Dozent es aus: »Jetzt ein Gedicht!« Nun: Der Anblick ist groß, das Gesehene ist zwingend, Literatur soll passieren  — jetzt! — und passiert. Aus dem Moment wird Literatur.

Aber die, wir wissen es, wird größer. Bekommt einen Kontext, die Erzählung, bekommt eine Fläche, das Papier, bekommt ein Gegenüber, lesend, bekommt ein großes Gegenüber, ein Publikum.

In der Literatur stapeln sich die Momente: Der Moment des Dichtens, des Schreibens, des Lesens und des gemeinsamen Erlebens. Insofern ist ein Festival wohl der höchste Stapel an Momenten, bei dem es sogar über den Einzelnen hinausgeht in einen Resonanzraum. Wo die Bücher zusammenkommen, fangen sie an, miteinander zu sprechen, bilden Bande und Widersprüche, regen zum Reflektieren an. Die Momente fliegen aufeinander zu, und in diesem Energiefeld ist so Vieles möglich: Der politische Diskurs genau wie das Sinnliche, die Feier, das Verstehen, das wichtige, gerade heute, besonders hier wichtige Verstehen.

Wie dieses Sirren der Bücher verläuft, das ist der glücklichen Hand der Festivalmacherinnen und -macher zu verdanken. Die genau wissen um die Momente der Literatur, deren Macht, als selbst Schreibende, als Lesende, als Literaturmomentwissende — denn ja, drum das Jetzt.

Ich freue mich, diesen meinen Augenblick hier zu haben, um die glückliche Hand des Festivalteams aus ganzem Herzen zu feiern und beglückwünschen, ein Festival, das seit 2007 stetig wächst, und das ich in so vielen Rollen kenne — als Moderatorin, als Journalistin, als selbst lesende Autorin  —und am allerglücklichsten als Besucherin.

Ihr wisst genau, wie ihr die Momente zueinander bringt, so dass sie anfangen zu korrespondieren, gebt den Begegnungen Namen wie in diesem Jahr »Dynamit und Hungerstreik«, »Freundschaftsliebe« oder »Jugendsündenbingo«, werdet »Total lokal« oder lasst einen Sonntag lang aus Literatur JETZT! das Kinderprogramm Literatur FETZT! werden. Ihr wisst, wie ihr Erlebnisse und Erinnerungen schafft, Festivalmachen ist eine Kunst, ist viel Absprache, Arbeit und Zeit, ist Durchhalten und Rechnen mit dem Zufall, mit Wetter und Weltgeschichte — und ist in großem Maße, hier ist er wieder, Vertrauen auf den Moment. In dem ein Jahr Arbeit steckt, und der sich dann in vier Tagen Festival einstellen muss.

Ich erinnere mich an die Säle im Hygienemuseum, in denen ich Bov Bjerg moderiert habe, an meine eigene Aufregung vor einer meiner ersten großen Moderationen, oder an einen Abend mit Georg Klein dort, an dem wir vollkommen die Zeit vergaßen, so dass ich aus Versehen die längste Lesung meines Lebens moderierte (zweieinhalb Stunden?). Und seit einigen Jahren erinnere ich mich an Erlebnisse an dem Ort, an dem ihr mittlerweile zuhause seid und an dem es ab den 25. September auch wieder losgeht: Das Zentralwerk mit seinem beeindruckenden Saal, den knarzenden Treppen und der verwirrenden Backstage-Architektur, der perfekte Festivalort — nicht nur, weil er diese vielen Räume bietet, nein, weil er auch riecht, wie ein Moment riechen sollte: Nach Staub, nach Putz, nach frischer Farbe und altem Holz, nach porösem Backstein, nach einem Gebäude, das in Bewegung ist.

Das Zentralwerk hatte nicht immer gute Zeiten: Hier wurden Nähmaschinen und Großschreibmaschinen gebaut, was vielleicht noch ganz romantisch ist, aber dies, bevor der Gebäudekomplex Rüstungsfabrik wurde und Zwangsarbeiterinnen beherbergte. Nach dem Krieg dann Großdruckerei, Leerstand, Umbau — das Zentralwerk, ein Beispiel dafür, wie Überschreibung funktioniert und wie sich mit dem Literaturfestival eine neue Geschichte mit dem Gebäude verbinden darf. Literatur ist Jetzt, aber auch alle andern Zeiten.

Ich freue mich auf viele weitere gute Momente dort, auf die letzte Septemberwoche, die wieder ein berückendes Line-up und die Aussicht auf viele gute Stunden bietet, ihr schafft es seit Jahren einen Raum der Begegnung und Zeitgenossinnenschaft zu bauen, darin warme Räume, coole Räume, funky Räume, politisch relevante Räume, für Dresden relevante Räume zu bauen — und der Literatur darin eine wunderbare Dringlichkeit zu geben.

Literatur JETZT! Literatur nicht dann und wann, nicht nebenbei, nicht übers Jahr, nicht unter der Nacht, unter der Bank, unterm Radar, Literatur JETZT! Danke.

Hier gibt es das Programm zum aktuellen Festival Literatur Jetzt!