Shida Bazyar (Foto: Städtische Bibliotheken)
17.03.2022
Leah Strobel

Wut, Realismus und Resignation

Shida Bazyar zu Gast in der Zentralbibliothek Dresden

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Drei Kameradinnen, der Titel, ihres im April 2021 erschienen Buches – eine doppelte Umkehr: motiviert durch Drei Kameraden von Erich Maria Remarque, wählte Shida Bazyar nicht drei männliche Kameraden als Hauptfiguren, sondern stattdessen die Freundschaft zwischen drei Frauen zum Mittelpunkt ihrer Geschichte, die gemeinsam aufgewachsen sind, und nutzt dabei einen Begriff, der als »Freie Kameradschaft« gewöhnlich für organisierte Neonazi-Gruppen verwendet wird, in einem Kontext von Antirassismus und Feminismus. Darunter versteht die Autorin die »Kameradinnenschaft« zwischen den drei Protagonistinnen Kasih, Hani und Saya als Bündnis – als Bündnis von Freundinnen, die die gleichen Kämpfe auszufechten haben: gegen Rassismus, Klassismus und Sexismus.

Zum Auftakt des Programms der Städtischen Bibliotheken im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus war Shida Bazyar in der Zentralbibliothek in Dresden zu Gast, las aus ihrem Buch und sprach mit Lara Hampe über ihre drei Protagonistinnen, zwischen denen es trotz ihres Zusammenhalts auch zu Reibungen und Konflikten kommt, denn sie teilen zwar gemeinsame Erfahrungen mit institutionellem Rassismus, Mikroagressionen und Rassismus auf individueller Ebene so weit, dass sie sich niemals gegenseitig ihre Diskriminierung absprechen würden, doch haben alle drei Frauen einen anderen, ganz persönlichen Umgang mit dem Erlebten entwickelt.

Wut

»Ich heule nicht rum, ich beschwere mich.« (Seite 111)

Saya ist wütend. Wütend auf das System, das systematisch diskriminiert, auf einzelne Menschen, die rassifizieren, diskriminieren und töten, und schließlich auf die Gesellschaft, die daneben steht und nichts tut. Schon früh hat sie Begriffe gefunden, um ihr Erlebtes zu beschreiben, und schreckt nicht vor Diskussionen und Konfrontationen zurück.

Realismus

»Solange dir dein Gegenüber nicht entweder vertraut oder aber dich gut bezahlt, solltest du ihm keinen Einblick in deine Gedankenwelt geben.« (Seite 113)

Kasih, die in diesem Buch zugleich Protagonistin und Erzählerin ist, ähnelt in ihrer radikalen Haltung Saya. Doch wo Saya wütend ist, ist Kasih als realistisch, stürzt sich nicht in teilweise auch risikobehaftete Auseinandersetzungen, sondern teilt ihre Kräfte gut ein. Ihr Erzählstil ist sprunghaft, es verschwimmen Vorstellungskraft und Realität. Dies führt zu Brüchen, aber keinesfalls zu Verwirrung. Dabei ist Kasih eine Erzählerin, die von einem tiefen Misstrauen gegenüber ihrem fiktiven Publikum geprägt ist – ein Publikum, das sie auch direkt anspricht, mit dem sie spielt, dem gegenüber sie sich unfair verhält und das sie in erster Linie konfrontiert. Sie führt das fiktive und vielleicht auch das reale Publikum – jedenfalls scheinen sich laut Shida Bazyar viele Leser*innen davon angesprochen zu fühlen – regelrecht vor, indem sie es ihm seine Vorurteile und internalisierten Rassismen vor Augen hält.

Resignation

»Wir sollten aufhören mit Sachen, die uns nichts bringen.« (Seite 116)

Die dritte im Bunde, Hani, ist müde von den Debatten, die immer wieder geführt werden, müde von den Kämpfen, bei denen sie das Gefühl hat, ohnehin nicht gewinnen zu können. Zu groß ist der Backlash, der auf Erfolge folgt. Sie hat sich angepasst, assimiliert, und steht zwar hinter ihren Freundinnen, kann die Wut Sayas jedoch nicht so recht nachvollziehen.

Das Buch ist entlarvend, konfrontiert die Leserschaft mit ihren Vorurteilen, legt weiße Befindlichkeiten offen, wo doch über Rassismus, Schmerz und Terror gesprochen werden sollte, aber nicht über »weiße Tränen«. Damit hat die Autorin genau das erreicht, was in der Auseinandersetzung mit Rassismus und für die internationalen Wochen gegen Rassismus so wichtig ist: den Betroffenen eine Stimme zu geben, die Vielfältigkeit innerhalb marginalisierter Gruppen aufzuzeigen, zum Nachdenken über (internalisierten) Rassismus anzuregen und gleichzeitig die bedingungslose Freundschaft zu feiern.

Shida Bayzar ist der Meinung, dass eine Weiterentwicklung in den Debatten über Rassismus spürbar ist. So wie heute über Rassismus geredet wird, wäre es vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen. Das Kämpfen lohnt sich also doch, auch wenn es im ersten Moment aussichtslos scheint.

 

Unsere Autorin Leah Strobel wurde 2003 in Dresden geboren und begeistert sich, seit sie denken und lesen kann, für Literatur. Seit 2017 ist sie beim Dresdner »Kulturgeflüster« aktiv und schreibt Theater- und Buchkritiken. Um ihre Buchleidenschaft weiter zu verfolgen, hat sie 2020 auf Instagram den Buchblog @lesefruechte ins Leben gerufen, auf dem alles um das Lesen und gesellschaftspolitische Themen kreist und wo sie regelmäßig Buchrezensionen veröffentlicht.