Christine Sylvester »Schattenleben«, erschienen bei Emons, Bild von Ingolf Bien
08.10.2020
Josefine Gottwald

Tagebuch-Krimi mit Kunstanteil

Zu Christine Sylvesters Kriminalroman »Schattenleben«

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Emma, eine junge Künstlerin, findet die Tagebücher ihrer verstorbenen Großtante. Sie beginnt mit ihrem Freund, die Bücher zu lesen, und wird dabei in die Vergangenheit gezogen, bis  die Geschichte sie in der Gegenwart einholt.

»Warum brauchen minderwertige Rassen dann ein Abzeichen, wenn jeder Volksdeutsche es ihnen am Gesicht ablesen kann? Als ich Klausi das gefragt habe, wurde er böse mit mir und sagte, ich sei eine blöde Ziege und würde das einfach nicht verstehen. Entweder hat Klausi sein Buch nicht gelesen, oder er gehört eben doch nicht zu denen, die aus Rassegründen besser denken können.«

Tante Metas erste Einträge beschreiben Kinderalltag im Nationalsozialismus: Heimatabend, die Speise »Himmel und Erde« oder das Kinderlied vom »General Bumbum«. Ihre Haltung ist naiv und unvoreingenommen, umso schockierter ist der Leser, durch ihre Worte zu erfahren, welches Aufsehen beispielsweise ein Schreibfehler im Schulaufsatz zur »Rassenleere« nach sich zieht … In ihrem selbstlosen Wesen wird sie schließlich handgreiflich, um Unschuldige zu beschützen – und dabei unfreiwillig zur Mörderin. Der Leser beginnt, die Geheimnisse zu erahnen, die Meta all die Jahrzehnte in ihre Bücher geschlossen hat.

»Und Klaus sagt immer: »Unsere Wehrmacht muss doch erst noch Moskau erobern.« Mutti schüttelt dann den Kopf. Aber vielleicht hat Klausi recht, denn der alte Walter hat heute etwas Ähnliches gesagt. Und auch Fräulein Brüggemeier hat uns erklärt, dass man beim Kampf gegen den Bolschewismus nicht einfach auf halbem Wege umkehren könne. Was der Bolschewismus ist, hat sie nicht erklärt. Aber er muss gefährlich sein, wenn alle so viel Angst davor haben.«

Es ist ein Kunstgriff von Sylvester, diese schockierende Thematik aus der Feder eines Kindes fließen zu lassen, das auf seinen Vater wartet, der an der Ostfront kämpft. Während ihrer Lesepausen geht die Protagonistin Emma ihrem Broterwerb nach – einer erst amüsanten und später sogar unheimlichen Kunst, die neben der Trauer um Meta ihr Leben bestimmt.

Emma ist naiv und lässt in der Resignation zu, dass sich eine fremde Frau in ihr Leben drängt, vor der sie ihr Umfeld warnt. Der Leser muss das Buch förmlich zuschlagen – so faul riecht diese Geschichte –, doch die Autorin lässt sich die Asse nicht so leicht aus dem Ärmel ziehen.

Den größeren Schwerpunkt des Tagebuchromans macht Metas späterer Werdegang aus: Ihre Aufträge als Stasi-Agentin. Sie entscheidet sich ohne Wissen ihrer Familie für die Bekämpfung der Neonazi-Szene im Untergrund und notiert von nun an bruchstückhaft mehr Fakten als Gedanken, sodass der Leser es immer schwerer hat, in ihre Gefühlswelt einzutauchen und sich zunehmend von der Figur entfernt. Die Behandlung und Tiefe des Themas macht das Buch vor allem für Leser interessant, die sich für diese Zeit interessieren und Vorkenntnisse mitbringen.

Das Ungewisse gart lange im Untergrund. Kurze Spannungspassagen lassen jedoch kein echtes Thrill-Gefühl aufkommen; die Lösung der Probleme erscheint zu schnell. Der Dresden-Bezug, der auf dem Cover betont wird, ist im Buch wenig präsent. Trotzdem ein unterhaltsames Werk der Krimi-Autorin mit Tiefe und Emotionalität – auch wenn ihr Potential noch mehr verspricht!

Christine Sylvester: Schattenleben. Emons, Köln 2014.

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