Autorenfoto Lutz Rathenow, Foto: privat
Autor Volker Sielaff, Bild: privat
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04.10.2021
Volker Sielaff

DIE FÜNF. Fragen an Lutz Rathenow

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Aristoteles unterschied fünf Sinne des Menschen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tastsinn.

Nach taoistischer Tradition gibt es fünf Elemente: Wasser, Feuer, Erde, Holz, Metall.

Die Fünf ist auch die Zahl der Liebe.

Der Autor Volker Sielaff findet: Grund genug, Schriftstellerinnen und Schriftstellern fünf Fragen zu stellen und sie um grundlegende wie sinnlich-sinnige Antworten zu bitten.

Worüber haben Sie zuletzt gestaunt?

Als ich Ende April in Dresden einen sehr schönen Blumenstrauß zur Verabschiedung von einer Ministerin bekam, mit dem ich zur Bahn ging und nach Klotzsche in meine Wohnung fuhr, da wurde ich dreimal von (älteren) Damen angesprochen. Sehr nett und wie schön die Blumen denn seien. »Na, da wird ja jemand sich sehr darüber freuen.« Zwei diskutierten dann im Bus auf der letzten Wegstrecke zuerst über den Strauß, dann über geeignete Blumen für Sträuße ganz allgemein. Da habe ich noch dazu gelernt. Also wer Gesprächskontakt will, laufe mit Hunden oder auffälligen Blumen umher.

Worüber waren Sie zuletzt zornig?

Ich war doch 1, 2 Jahrzehnte im Dauerzorn. Ich habe mich in Dresden des eigenes Zornes entwöhnt. Weil ich so viele angenehme Dinge erlebte? Sicher auch. Sicher hat das aber auch mit Pegida zu tun, auf die ich bei meinen Stadtgängen an Montagen immer dann gestoßen bin, wenn ich deren Existenz fast vergessen hatte. Sie zeigten mir, wohin es führt, wenn (vorwiegend) Männer, die wie ich nun mal meist weiße ältere Männer sind, aus ihren Frust eine Wut backen und sich in einen Dauerzorn hineinbeamen. Und ihn durch Geselligkeitssolidarität zu konservieren versuchen.

Welcher Ort inspiriert Sie?

Züge, wenn sie sich bewegen. In denen nach Dresden kommen mir mehr Ideen als in denen von Dresden nach Berlin. Besonders inspirierend ist der Aufenthalt in den tschechischen und ungarischen Speisewagen. In meiner frühen Dresdner Zeit gab es auch den aus Wien, für das Montagsfrühstück kaffeemäßig unschlagbar. Und in einem Spätzug existierte von Berlin aus ein polnischer Wagen. Vielleicht könnte die deutsche Bahn generell für Zugstrecken Gastauftritte von Speisewagen anderer Länder einführen.

In welche Zeit würden Sie sich mit einer Zeitmaschine befördern lassen?

In eine entferntere Zukunft, das reizt mich. Zum Beispiel Dresden in 100 Jahren. Ich hoffe nur auf einen zuverlässigen Bumerang-Transport, also das die Gegenwart mich gut wieder einfangen kann. Oder sollte ich doch nur 10 Jahre zurückreisen? Und mir als neu startender Landesbeauftragter ein paar Tipps geben, um Fehler zu vermeiden? Wahrscheinlich würde der 2011er Rathenow den aus der Zukunft für einen Psycho halten, der bei gewissen Ähnlichkeiten so tut als ob er LR sei. Den Aktenvermerk, den der 2011er über den 2021er angelegt hat, könnte ich versuchen – zurückgekehrt in die gegenwärtige Gegenwart – über das Informationsfreiheitsgesetz lesen zu dürfen.

Welche historische Person würden Sie gern für eine ausgedehnte Berg- bzw. Strandwanderung treffen?

Verstorbene Freunde, ich habe sie vor Augen, aber das sollten private Spaziergänge bleiben, keine Namen. Der Schriftsteller Stanislaw Lem, an den hätte ich konkrete Fragen, die aus seinen Texten resultieren. Er würde die Landschaft sicher für eine Simulation halten. Und mich vielleicht für eine nicht sehr geglückte künstliche Intelligenz, die ihn noch nach dem Tod abschöpfen soll.

Letzten Monat lasen Sie Fünf Fragen an Martina Hefter.

Lutz Rathenow wurde 1952 in Jena geboren, seit 1977 lebt er in (Ost)Berlin, von 2011 bis Mitte 2021 in Dresden (Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur). Gründete 1973 den AK Literatur und Lyrik Jena (1973 – 1975, Zwangsauflösung), Hat das Studium Geschichte/Deutsch an der Universität Jena fast beenden können. 1977 Transportarbeiter, Beifahrer, Theatermitarbeiter. Als DDR-Bürger Veröffentlichungen in der Bundesrepublik, Schweden, Österreich, Frankreich, Schweiz, Kroatien und den USA. Einige eher periphere Preise, u.a. 2007 Lyrikpreis der Zeitschrift »Dulzinea«. 1980 Ermittlungsverfahren (3 Monate) wegen eines Prosabandes im Westen. Literarischer und politischer Netzwerker (Rathenow zu Rathenow: manisch offensiv und eifrig konspirativ). Verzettelungs-artist als Lyriker, Kinderbuchautor, Satiriker, Prosaist, Gelegenheitsdramatiker, Rundfunkkolumnist. Siehe »Der Elefant auf dem Trampolin. Gedichte zum Größerwerden« LeiV, Leipzig, 2017. Zusammen mit dem aus Radebeul stammenden Fotografen Harald Hauswald das Erfolgsbuch »Ostberlin« (Jaron 2019) Demnächst »Maskierungszärtlichkeit. Dresdner Gedichte« Verlag SchumacherGebler, Dresden.

Volker Sielaff lebt als Autor und Publizist in Dresden und ist Mitorganisator des Festivals für Zeitgenössische Literatur »Literatur Jetzt!«. Mehrere Gedichtbände und ein Journal liegen vor, unter anderem »Glossar des Prinzen« und »Überall Welt«. Soeben erschien ist im Verlag Voland & Quist / Edition Azur sein neues Buch »Barfuß vor Penelope«. Michael Braun sagte dazu im Deutschlandfunk: »In seinem neuen Gedichtband »Barfuß vor Penelope« treibt Sielaff seine Sprachkunst auf die Spitze und durchläuft hierbei von Kapitel zu Kapitel immer neue Selbstverwandlungen.«