Autorenfoto Volker Braun, Bild: Städtische Bibliotheken Dresden
26.04.2024
Hans-Peter Lühr

Versuche, der Wirklichkeit standzuhalten

Volker Braun stellt sein neues Buch in Dresden vor

Zurück

Die Zeiten, in denen wir leben, sind für uns alle eine Herausforderung. Sind vielleicht die Dichter besser dran, weil ihr Unbehagen »zu Wort« kommt, zum Wort findet?

Volker Braun waren die gesellschaftlichen Verhältnisse schon immer eine Provokation und ein unablässiger Denk- und Schreibanlass. Auch das neue Buch, das zum (man will’s nicht glauben) 85. Geburtstag des renommierten Autors dieser Tage erschienen ist, folgt diesem Impuls: Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben. Es ist ein schmaler Essayband, der in drei Kapiteln die Gefährdungen der Gegenwart als individuelle Erfahrung in vielfachen Wendungen und mit erstaunlicher Offenheit (nämlich: versuchs-weise) reflektiert. »Wie muss Kunst beschaffen sein, fragte Adorno, um dem Kapitalismus gewachsen zu sein?« ist so ein typisches Eingangsstatement des Dichters, der seine Not zunächst ästhetisch fasst. In einem komplexen Reflexionsstrom wird andere Dichtung berufen, der Weg der Philosophie seit dem alten China und zeitgenössische Erkenntnistheorie. Diese Fülle macht den Text vibrierend dicht und zugleich höchst anspruchsvoll: Die Struktur ist selbst ein Stück Wirklichkeit. Und der Krieg? – »fährt wie ein Brandsatz in meinen Text«.

In einem zweiten Anlauf mit der resoluten Kapitelüberschrift »Versuch, mich mit den Füßen am Boden zu halten« kommt uns das Braun’sche Nachdenken dialogisch entgegen und einer Aufklärung verpflichtet, die auf Diderot zurückgeht und seinen Traum von einer besseren Welt. Dessen einstige Partnerin Sophie begleitet nun Braun in luftig leichter Gangart als Klimakleberin durch das Berlin der Gegenwart. Sie geht gleichwohl aufs Ganze, so wie das Klima nicht mit sich verhandeln lässt. Mit dialektischen Sprachspielen antwortet der Autor, das Dilemma seinerseits in einer Schwebe haltend, die uns nicht zur Ruhe kommen lässt. Schon seine Büchnerpreisrede im Jahr 2000 endete mit dem Satz »wie lange hält uns die Erde aus?«

Der dritte Versuch, der Wirklichkeit standzuhalten, ist dann  ganz biografischer Natur. Beginnend im zerstörten Dresden, seiner Heimatstadt, und den ersten harten Arbeitserfahrungen im »Mitteldeutschen Loch« bis zum »Wirbel der Worte« des jungen Dichters, der fortan die Gewalt des Staates und der Zensur ertragen muss (wiewohl er ihn, den Staat, doch so gern als seinen gesehen hätte). So blättert sich eine Biografie auf, die auch nachträglich nichts geschenkt haben will. Denn zum Glück gibt es auch das andere: die Gewalt der Liebe. Und also nun? »Ja, früher hätte man die Welt verlassen, die Zelte abbrechen können. Jetzt gibt es keine Anderwelt mehr, wir sind im Überall«. Kann man etwa an diesem Dichter lernen, den Unbehaglichkeiten und Gewalten standzuhalten? Versuchen sollten wir’s …

 

Die Buchpremiere von Volker Braun zu »Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben« findet am Montag, den 29. April, um 19.30 Uhr in der Zentralbibliothek im Kulturpalast statt. Die Moderation des Abends übernimmt Hans-Peter Lühr. 

Zur Veranstaltung