Frauen und ihre Leistungen wurden in der Wissenschaft lange Zeit nicht anerkannt. Dazu zählen Rosalind Franklin, Lisa Meitner, Chien-Shiung Wu und viele weitere. Auch die Dresdner Mathematikerin Maria Reiche musste über Jahrzehnte hinweg für die Anerkennung ihrer Arbeit an den Nasca-Linien in Peru kämpfen.
»Ich fühlte mich als Frau in dieser Männerwelt niemals ernst genommen.« – S. 213
Ein Gefühl, das sich in dem Roman Die Wüstenfegerin von Daria Eva Stanco, der 2024 im Themen Verlag erschienen ist, überall wiederfindet. Die Autorin wurde 1983 in Polen geboren und studierte Literatur, Psychologie und kulturelle Beziehungen. Sie arbeitet als Online- und Social Media-Redakteurin bei ZDF/3sat und verbrachte zwischen 2016 und 2018 einige Monate auf Recherchereise für den Roman in der Wüste Perus.
Schon als kleines Mädchen träumt Maria davon, eine große Forscherin zu werden, zu reisen und zu entdecken, und schon früh wird ihr Interesse für Mathematik geweckt. »Das ist wohl nichts für ein Mädchen« … »Franz ist ja auch ein Junge und du bist ein Mädchen« … »Aber erwarte nicht zu viel, sonst wirst du nur enttäuscht werden« … Ihr gelingt es, sich gegen all diese Stimmen durchzusetzen, sie studiert Mathematik, Physik und Geographie. Danach wird sie Hauslehrerin bei dem deutschen Konsul in Cusco, Peru und kommt von dort aus schließlich zu ihrer Arbeit an den Nasca-Linien.
Die Lebensgeschichte dieser beeindruckenden Frau, die als Erforscherin und Retterin der Nasca-Linien in die Geschichte eingegangen ist, wird in Die Wüstenfegerin auf verschiedenen Zeitebenen erzählt. Zum einen chronologisch, angefangen bei Marias Reiches Kindheit, gefolgt von weiteren Lebensabschnitten, dann 1976 aus der Sicht der Autorin Evelyn, die ein Buch über die »Wüstenfegerin« verfassen soll, und schließlich in Einschüben aus dem Jahr 424 n. Chr., wo die Perspektive eines Jungen aus derjenigen Kultur eingenommen wird, die die Scharrbilder in der Wüste von Nasca, die Maria Reiche erforschte, geschaffen hat.
Die Wechsel zwischen den Zeitebenen sind jedoch leider oftmals abrupt, wodurch der Lesefluss immer wieder unterbrochen wird. Außerdem schleicht sich insbesondere zum Ende des Romans hin das Gefühl ein, dass die Geschichte möglichst schnell zu Ende gebracht werden sollte, sodass einfach ein Ereignis an das andere gereiht wird, während zu Beginn des Buches sehr viel mehr Raum für die einzelnen Stationen im Leben von Maria Reiche blieb. Durch Evelyns Sicht wird die Außenperspektive auf die »Wüstenfegerin« greifbar eingefangen: das Misstrauen gegen ihre vermeintlich unwissenschaftliche Arbeitsweise, der Vorwurf, sie würde archäologisches Erbe zerstören, sie sei eine Hexe, die auf einem Besen durch die Wüste fliege. Weder Maria Reiche, noch ihre Arbeit oder ihre Leidenschaft wurden ihrerzeit ernst genommen.
»Vielleicht hören alte, grauhaarige Männer nur auf alte, grauhaarige Männer.«
Doch auch ohne ein alter, grauhaariger Mann zu sein, hört Maria Reiche nicht auf, weiterzuforschen und über ihre Arbeit zu sprechen. Sie glaubt daran, dass es sich bei den riesigen Zeichnungen von Spiralen und Tieren in der peruanischen Wüste um einen astronomischen Kalender handelt und setzt alles daran, dies wissenschaftlich zu beweisen und die Linien vor Zerstörung durch Touristen und Unternehmen zu bewahren.
Die Lebensgeschichte der »Wüstenfegerin« steht in dem Roman jedoch nicht für sich, sondern bleibt eingebettet in den Verlauf der Weltgeschichte: ihr Vater, der im ersten Weltkrieg stirbt, ihr Bruder Franz, der im zweiten fällt, die Veränderung der peruanischen Städte, die geprägt sind durch kolonialistische, westliche Einflüsse.
Während Maria Reiche ein interessanter und komplexer Charakter war, der immer neue Überraschungen bereitgehalten hat, bleibt Evelyn, deren eigene Handlung durchaus viel Raum einnimmt, zu farblos und nebensächlich. Natürlich macht auch sie eine charakterliche Entwicklung durch, doch ihre Liebesgeschichte mit Jo ist zu klischeebehaftet und bringt den Roman nicht weiter. Anstatt mit den Liebenden mitzufühlen, schleicht sich eher der Wunsch ein, dass die beiden doch bitte nicht zusammenfinden mögen, zu groß ist der Altersunterschied zwischen Jo und Evelyn, zu sprunghaft und unsympathisch sein Wesen.
Die Autorin schreibt sehr plastisch, sodass es leichtfällt, sich die Wüste Perus, Lima und all die anderen Orte fernab von Dresden vorzustellen und die Hitze der Sonne auf der Haut zu fühlen, den Sand zwischen den Fingern. Schwieriger wird es, wenn es um die Spiritualität geht, die im Laufe des Romans immer relevanter wird. Die Darstellung der Spiritualität der indigenen Bevölkerung wirkt zwar durchaus authentisch, bei Evelyn und Maria kontrastiert sie jedoch zu stark mit der Wissenschaft, wodurch letztere an Überzeugungskraft verliert.
Die Wüstenfegerin ist in Hinblick auf Maria Reiche ein durchaus gut recherchiertes und lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in deren Leben vermittelt und die Leidenschaft, die sie ihrer Forschung entgegenbrachte, in Worte fasst. Es ist eine Würdigung der Lebensleistung einer sehr beeindrucken Frau, die ihren eigenen Weg gegangen ist und sich niemals gesellschaftlichen Konventionen gebeugt hat.
Daria Eva Stanco: »Die Wüstenfegerin«, erschienen im Thelem Verlag | 363 Seiten | Euro 24,80 | ISBN 978-3-95908-314-0
Leah Strobel rezensiert bei Instagram im Blog @lesefrüchte
Daria Eva Stanco liest aus dem Roman am am 05. November 2024 um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Dresden-Plauen.