Massum Faryar: »Buskaschi«, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, Foto von Josefine Gottwald
17.10.2020
Josefine Gottwald

Vom Kampf um eine tote Ziege

Zu Massum Faryars Roman »Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter«

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»Ich wünschte, die Geschichte meines Landes wäre unberührt vom Rest des Weltgeschehens verlaufen, dann wäre es unbekannt und bedeutungslos geblieben, wie es einst gewesen war – dann wäre aber auch meine eigene Geschichte eine andere. Diese in Erinnerung zu rufen und zu erzählen, wäre mühelos. Da dem aber nicht so ist, will ich erneut in sie eintauchen, um mich, meine Nächsten und mein Volk darin wiederzufinden.«

Der gebürtige Afghane Massum Faryar arbeitete schon in seiner Zeit als Dresdner Stadtschreiber an einem Epos über sein Heimatland. Protagonist Schaer erzählt von einer Jugend in Afghanistan, den politischen Wirren des 20. Jahrhunderts und darüber, wie er schließlich seine Heimat verlor. Als Sohn des Imam der Moschee von Herat erlebt er die Geschichte seines Vaters bei »Freitagsgesprächen« im Hamam, bei denen er aus seinem Leben erzählt. Seine Impressionen reichen von ersten Erfahrungen mit der Sünde bis hin zu einem raffinierten Coup, mit dem er die Tochter eines reichen Schahs erobert – Schaers Mutter, die später dement wird und von ihrem alten Leben nur den schönen Teppich, das Brautgeschenk, zurückbehält. Religiöse und weltliche Weisheiten treffen auf einen Alltag mit Basketball, Schulunterricht, Mädchen und Literatur. Buskaschi, das riskante Reiterspiel, dient sinnbildlich als Kampf des Lebens; der Wettstreit um die tote Ziege wird zur Metapher für das Tauziehen um das Land, von dem Massum Faryar sagt, dass es den eigentlichen Held seines Romans darstellt.

Traumhaft erzählerisch und voller Bilder und Legenden betrachtet Faryar die politische Entwicklung Afghanistans im Vergleich mit anderen nahöstlichen Regionen und zeigt dabei den Ursprung fälschlich negativer Begriffe wie Scharia und Dschihad. Herat und Kabul mit ihren revolutionären Unruhen stehen beispielhaft für ein politisch gebeuteltes Land voller tragischer Familienschicksale: Der Sturz von einem Terrorregime ins nächste, die Rote Revolution von ’78 und die folgende Schreckensherrschaft, britische und sowjetische Besatzung und das Regime der Taliban und seine Hintergründe prägen Schaers Leben ebenso wie der Alltag in einer großen Familie, der Zusammenhalt und das unbeschwerte Glück, das man nur in der Kindheit genießen kann.

»Mag sein, dass alle Religionen an ein und denselben Gott glauben, aber genau dieser Gott ist gleichzeitig der Grund für ihre Zerrissenheit. Wenn die Menschheit eines Tages an irgendetwas zugrunde geht – dann nur an dieser Schizophrenie.«

erschienen in DRESDNER Kulturmagazin 07/15 / Literatur

Massum Faryar: Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015.