Die Autorin Ann Atkins, Bild: Tracey Morris
Der Chor der Überlebenden von Helmut Heinze
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30.07.2023
Literaturnetz Dresden

Vom Trümmerchor zum Kettengedicht

Coventry Writers Exchange beim Palais Sommer

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Die Enttrümmerung im kriegszerstörten Krankenhaus voranzubringen, das war 1965 das Ziel der »Aktion Diakonissenkrankenhaus«. Die anglikanische Kathedrale von Coventry sandte dafür eine Gruppe junger Menschen nach Dresden, und die DDR stellte ihnen ein besonderes Visum aus: Es war bis zu sieben Monate gültig und örtlich unbefristet – die jungen Leute konnten in der gesamten DDR ungehindert reisen.

50 Jahre später erschien ein Erinnerungsband, der jetzt von Rainer Barczaitis übersetzt wird. Der Anglist und Wahl-Dresdner war zeitweise Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft – jetzt ist er ihr »Coventry-Botschafter« und engagiert sich in der Pflege der Beziehungen zu Dresdens Partnerstadt.

Bereits seit 2012 existiert der Coventry Dresden Arts Exchange, der bisher eine Vielzahl von Residenzen und Ausstellungen organisiert hat. Neben diesem Programm entstand 2021 der Beginn eines literarischen Austauschs: In diesem Jahr erschien mit Phoenix ein zweisprachiger Gedichtband mit Texten von Antony Owen aus Coventry bei Thelem, der Startschuss, wenn man so will. Das Buch war eine Zusammenarbeit von Menschen aus Coventry und Dresden; Antony Owen stellte am 28. September 2021 gemeinsam mit einigen der Übersetzer*innen das Buch in der Frauenkirche vor.

Als nächste Schreiberin des Programms kam im vergangenen Jahr die Lyrikerin Emilie Lauren Jones für mehrere Auftritte nach Dresden. Die Dichterin war in Coventry,  damaliger Kulturhauptstadt Großbritanniens, zur ersten Poet Laureate der Stadt gewählt worden. Während ihres Aufenthalts nahm sie auch Kontakt mit dem Literaturforum Dresden auf. In der Folge besuchten Autoren des Vereins Coventry im November 2022 virtuell via Livestream. Aus Dresden reiste dann im April 2023 Christian Manss über den Kanal: Der Künstler war bereits mehrfach als Mitglied des Arts Exchange in Coventry gewesen; er arbeitet interdisziplinär, schrieb beispielsweise 20 Texte zu 20 Selbstportraits und schuf gemeinsam mit Manaf Halbouni den beweglichen Staat Mobilistan.

Stete Bewegung, auch in den Köpfen, ist den Mitgliedern der Gesellschaft wichtig. Im Februar übersetzte Rainer Barczaitis den Band Feindes Liebe (Thelem) des Autors Andrew March, eines Pfarrers aus Coventry. Das Buch erzählt die Geschichte seines Großvaters nach dessen Aufzeichnungen: Ein junger Engländer kommt 1936 nach Dresden, nachdem er Mein Kampf gelesen hat. Schockiert von den Ideen des Nationalsozialismus, nimmt er eine Lehrerstelle an der Kreuzschule an, um zu sehen, was die Ideologie mit den Menschen macht. Er freundet sich mit einer Dresdner Arztfamilie an, mit Beginn des Krieges reißt der Kontakt ab. Nach dem Krieg beginnt er einen Briefwechsel mit der jüngsten Tochter des Hauses, nach einigen Schwierigkeiten kommt sie nach England und heiratet ihn. Was sich anhört wie eine Story aus der Bahnhofsbuchhandlung, ist tatsächlich – wie vieles zwischen Dresden und Coventry – eine glückliche Verbindung.

Nun kommt die Dichterin Ann Atkins aus Coventry nach Dresden. Die Kooperation mit dem Palais Sommer kam wieder aus der bildenden Kunst: Jährlich stiftet der Neue Sächsische Kunstverein e.V. den FAMA Skulptura Preis für ein Lebenswerk. In diesem Jahr werden zwei Künstler ausgezeichnet: Der Bildhauer und Maler George Wagstaffe aus Coventry und der Dresdner Bildhauer Helmut Heinze. Dessen Bronzeskulptur Chor der Überlebenden steht als Geschenk aus Dresden in der zerstörten Kathedrale von Coventry. Die Gemeinde dort sieht ihre Mission in der Versöhnung von Kriegsgegnern. Schon zu Beginn des 2. Weltkriegs, 1940, wurde die Stadt durch deutsche Bomber komplett zerstört; auf diesem Schicksal begründete sich ab 1959 die Städtepartnerschaft mit Dresden.

Nach der FAMA-Preisverleihung am 5. August um 18 Uhr liest Ann Atkins ab 21:15 im Rahmen der Gutenachtgeschichten des Palais Sommers. Die preisgekrönte Poetry Slammerin wurde in Podcasts, Radio, Anthologien und Magazinen veröffentlicht; online ist sie weltweit aktiv, in Coventry beispielsweise als Mitorganisatorin der Offenen Bühne Fire & Dust. Ergänzend performen an dem Abend Mitglieder des Literaturforums – Patrick Beck, Patrick Wilden, Silvio Colditz und Rainer Barczaitis – gemeinsam mit Christian Manss ein Kettengedicht. Die Textform scheint passend zur Kettenreaktion, die der Wunsch nach kreativem Austausch angestoßen hat. Im nächsten Jahr feiert die Städtepartnerschaft ihr 65-jähriges Jubiläum, bis dahin will Rainer Barczaitis den Erinnerungsband des Diakonissenkrankenhauses übersetzt haben. Dann gibt es wieder einen Anlass zum Feiern und Menschen zusammenbringen – einen richtig großen sogar.

Text von Josefine Gottwald

 

Der Fama Friendship Day findet am 05. August beim Palais Sommer statt. Zur Veranstaltung

Die Veranstaltung und die Residenz von Ann Atkins wird unterstützt von CAIF (Coventry Association for International Friendship), Literaturforum Dresden e.V., Deutsch-Britische Gesellschaft Dresden und Coventry Dresden Arts Exchange

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