Erinnerungen aus 30 Jahren (Fotos: Buchhandlung Findus)
Erinnerungen aus 30 Jahren (Fotos: Buchhandlung Findus)
Erinnerungen aus 30 Jahren (Fotos: Buchhandlung Findus)
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21.12.2023
Josefine Gottwald

»Die Begegnungen haben mein Leben bereichert«

Annli Erler gibt nach 30 Jahren die Buchhandlung Findus ab

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Ein Backsteinbau in der Tharandter Schillerstraße. Große Bogenfenster und 150 Quadratmeter, auf denen sich eine Buchhandlung erstreckt: Das Reich von Annaluise Erler. Annli Erler, wie sie Autor*innen nennen, die bei ihr zu Abend essen, sprühte schon immer vor Energie. 30 Jahre genau führt sie die Buchhandlung Findus.

Die Liste ihrer Auszeichnungen ist lang: 2007 war sie Scala Buchhandlung des Jahres, 2015 bis 2017 erhielt sie jährlich den Deutschen Buchhandlungspreis als hervorragende oder beste Buchhandlung. Danach bewarb sie sich nicht mehr. Bücher sind ihr Leben. Ihre Kindheit verbringt sie in Braunschweig auf einem Rittergut. Die Familie ist groß, und ihre Bibliothek noch größer. An ihr erstes Buch erinnert sie sich noch gut: Jim Knopf bekam sie zur Beerdigung ihres Großvaters von ihrem Patenonkel. Damals war sie sieben Jahre alt.

Ruf der Literatur

Nach der Schule macht sie in Göttingen die Buchhändlerlehre. Nach verschiedenen Praktika in Betrieben fühlt sie sich dort am wohlsten. Sogar ihren Mann lernt sie in der Buchhandlung kennen: Der Forstwissenschaftler schätzt den Fachbereich, den sie neben dem Kinderbuch betreut.

1992 erhält Jörn Erler den Ruf an eine Professur in Tharandt. Im Folgejahr eröffnet Annli Erler dort eine Buchhandlung. »Als Vollblutbuchhändlerin konnte ich nicht damit leben, dass ein Unistandort keine Buchhandlung haben sollte!« Der kleine Laden, der damals dort existiert, wird nach der Wende Buch & Kunst angegliedert und dann schnell geschlossen. Zeitweise erwägt Annli Erler, sich anstellen zu lassen, und bewirbt sich bei den Ketten. Aber aus der inhabergeführten Buchhandlung in Göttingen ist sie Gestaltungsfreiraum gewohnt, mit dem Kinderbuch leitete sie eine komplette Abteilung: »Das bringt Kompetenzen mit sich, die man ungern abgibt!«

Die erste Buchhandlung eröffnet sie auf 35 Quadratmetern im Nachbarhaus. Damals brauchte sie noch ein Spielzimmer für den 2-jährigen Sohn. Fünf Jahre und zwei Wasserrohrbrüche später zieht Findus in die Roßmäßlerstraße und wächst auf 75 Quadratmeter. Auch hier gibt es Prüfungen zu bestehen: »Nach dem Hochwasser 2002 wurde in den Medien empfohlen, Tharandt weiträumig zu umfahren … Das war eine harte Zeit. Wir hatten eine Brücke in unseren Laden, aber das hat nichts genützt.«

Krisen und Brücken

Ihre Auszubildenden muss sie damals an Kollegen weitergeben. Mit Handzetteln geht sie von Tür zu Tür, aber die Kunden nehmen das Angebot nicht gut an. Zur Coronazeit wird das anders: »Ich hatte schon vor Jahren einen Webshop eingerichtet, den aber kaum jemand wahrnahm. Im Lockdown stieg die Nutzung rasant!« Das Team liefert alles persönlich aus – bis 40 Kilometer Umkreis!

Für die freundlichen Rückmeldungen aus der Zeit ist sie dankbar. »Das Angebot hat sich herumgesprochen, die Menschen taten das einfach aus Solidarität.« Die Lust am Lesen führte auch zu Entdeckungen: »Teilweise wurden ganz alte Titel bestellt, die wir 10 Jahre nicht verkauft haben …«

Dass die Branche so schnelllebig geworden ist, findet sie schade. Aber an kreativen Ansätzen mangelt es ihr nicht: Bei Findus kann man Schmökerschatullen als Überraschungs-Abo bestellen – Annli Erler sucht dann persönlich den Lesestoff aus, der ihren Kund*innen gefällt. Für die individuelle Büchernacht lässt man sich nach Ladenschluss im Geschäft einschließen und kann die ganze Nacht durchlesen. »Das wird sogar für den Junggesellinnenabschied genutzt!«

Raum für Gestaltung

Vor 15 Jahren beschließt sie gemeinsam mit ihrem Mann, noch mehr Selbstverwirklichung einzuräumen und aus der Roßmäßlerstraße auszuziehen. Sie wollen ihr Geld nicht mehr in die Miete, sondern in ein Haus zu investieren: Findus bekommt eine eigene Villa, dicht neben dem ersten Standort. Die neue Fläche bietet Raum für gute Veranstaltungen, seit 1993 führt Annli Erler mit hoher Frequenz Lesungen durch. »Mir liegt das persönlich am Herzen. Jeder Buchhändler muss sich sein Profil suchen und umsetzen, was er gut kann.« Bei ihr sind das Literarisches und kreative Kinderveranstaltungen; monatlich organisiert sie je eine Lesung für Kinder und eine für Erwachsene, außerdem macht sie selbst Vorträge in Schulen und Kitas, auch Vorlesewettbewerbe …

»Warum wir das Jubiläum so spät im Jahr feiern, hat einen praktischen Grund: Wir wurden für einen Schulbuchauftrag für Freital ausgelost …« Sieben oder acht Paletten Schulbücher und Arbeitshefte – man verliert schnell den Überblick, wenn sich das Lernmaterial im Ess- und im Gästezimmer stapelt; die Möbel werden kurzerhand auf die Terrasse gestellt!

Erfüllung und Erfahrung

Neben dem Kinderbuch schlägt ihr Herz für die Belletristik. Das spezielle Angebot der Forstwirtschaft ist deutschlandweit selten; den Vertretern nach führt sie die umfangreichste Backlist, daneben auch Ratgeber – die Abteilung Glück und Gesundheit ist gut gefragt.

Gleichzeitig mit dem Jubiläum feiert sie ihren Abschied: Nach 30 Jahren gibt Annli Erler die Buchhandlung an eine Nachfolgerin weiter. Im Sommer gab sie die letzte Ausgabe ihres Buchmagazins heraus; die neue Buchhändlerin stammt aus Freital, mit Zwischenstationen in Erfurt und Weimar. Als studierte Juristin wollte Ulrike Uhlemann sich verändern und absolvierte bei Findus ein Praktikum.

Die letzten 5 Jahre war sie hier angestellt – auf voller Stelle mit der Option, das Geschäft weiterzuführen. Ihr Fachwissen eignete sie sich in einem Lehrgang an, der sie mit Prüfung qualifizierte. Mit dem Wechsel werden auch mehr Nonbook-Article in Sortiment einziehen; Uhlemanns Herz schlägt für Brettspiele. Annli Erler findet das erfrischend: »Das ist eine persönliche Ausrichtung. Ich bin mit meinem Publikum alt geworden. Ulrike wird die Stammkunden behalten und mit ihrer Altersstufe etwas Neues starten. In unserer Branche ist es dringend notwendig, neue Kundengruppen zu finden!«

Seit Juni bietet sie in den Räumen auch Postservice an – als die letzte Filiale in Tharandt geschlossen wurde. Den Vorteil der Laufkundschaft ergänzt sich durch Lokalpatriotismus; vernetzt war sie schon immer gut. Vor allem beim Zeitunglesen stößt sie auf spannende Gelegenheiten, wie das Buch Geschichten vom Erzgebirgskamm – Wenn Grenzsteine erzählen könnten. Die Sammlung erfreut sich eben der Nachauflage, der Verlag Tschirner & Kosová belieferte die Buchhandlung früher nie.

Ein Werk von drei Jahrzehnten

Auch die hiesige Kinderbuchautorin Anja Schenk stellte bei Findus ihre Bücher vor. Kristin Franke, Gründerin des Verlags Tiny Foxes, veröffentlichte 11 Kinderbücher, die sie selbst illustriert. Dazu näht sie Accessoires und baut Wichteltüren – die man dann in Tharandt bekommt.

Gerade organisierte Annli Erler ehrenamtlich ihren Adventskalender für den Ort. Jeden Tag eine Veranstaltung: Manches fand in der Buchhandlung statt, wie die Lesung der Bloggerin Bianca Steinhagen (Literatwo) aus Tolkiens Briefen an den Weihnachtsmann. An einem anderen Tag lasen »die Buchhändlerin und ihre vier Schwestern« aus Kästners Schwein beim Friseur. Um innerorts Verbindungen zu stärken, werden aber auch Ortsteile eingebunden: In Hartha beteiligte sich ein neuer Trödelladen, auf der Burg sang ein Küchenchor zum Glühwein. Die Buchhändlerin erklärt: »Das sind Frauen, die sich regelmäßig treffen und einfach singen, eine herrliche Atmosphäre!«

Highlights gab es viele in 30 Jahren, wie unkonventionelle Lesetouren: Mit Hasnain Kazim tourte Annli Erler durch das ganze Erzgebirge, jeden Tag las er zweimal an unterschiedlichen Orten. Die Buchhändlerin koordinierte Verträge mit Schulen und übernahm die komplette Organisation: Übernachtung, Verpflegung und Büchertische … Ein Honorar bekam sie dafür nicht. »Ich finde es wichtig, dass Autoren und Autorinnen Schulen besuchen!«

Auch Knut Elstermann oder den Dresdner Stadtschreiber 2015 Michael Wildenhain hat sie begleitet. Für die Planung solcher Events sichtet sie intensiv die Verlagsvorschauen, teilweise lernte sie die Künstler*innen auf Buchmessen kennen.

Worte und Werte

Wenn man sie fragt, wie wichtig Netzwerk ist, antwortet Annli Erler: »Die Begegnungen sind unersetzlich. Über die Jahre führte ich unzählige wunderbare Gespräche mit Autoren und Autorinnen, die mein Leben bereichert haben.«

Häufig übernachteten eingeladene Autor*innen im privaten Haus, sodass man Abends am Kamin beisammen saß. So entbrannten Diskussionen mit Hans Pleschinski, so aß man Kekse mit dem Wallstein-Verlagschef Thedel von Wallmoden, der auf dem Teller sein Familienwappen entdeckte. Es war auch das Wappen von Annli Erler … »Es war verrückt, wir waren miteinander verwandt!«

Verrückt oder fast schon unheimlich war auch der Besuch von Udo Reiter eine Woche vor seinem Suizid: »Im Grunde hat er den Freitod schon angekündigt …« Berührende Momente gab es viele. Als Marcel Beyers Kaltenburg erschien, las Annli Erler das Buch vorab und entschied, dass es gut nach Tharandt passte.

Was sie nicht ahnte, war, dass die Botaniker hier das Institut aus dem Buch kannten. Nach der Lesung stand das Publikum geschlossen auf, ältere Leute mussten weinen. Jemand fragte: »Wie können Sie das so schön schildern? Genauso ist es gewesen!«

Pläne hat sie noch nicht so viele. Für eine Übergangszeit arbeitet sie auf geringfügiger Basis mit, bis passende Unterstützung im Team gefunden ist. »Da muss die Chemie passen. Für diese Arbeit braucht man ein eingespieltes Team, das muss Spaß machen!«

Auf diese Art wird die Ablösung sanfter. Dann will sie die Familie besuchen: Zwischen Berlin und Sankt Peter Ording, der Müritz, Darmstadt und Düsseldorf … Eine Enkelin lebt in England im Internat, ein Sohn mit der Familie in Schweden, ein weiterer zieht in die USA. »Normalerweise arbeite ich 60 Stunden pro Woche, und dann muss ich noch Bücher lesen!« Sie freut sich auf mehr Freiraum, auch um Ausstellungen zu besuchen. Auch wenn sie ihr Ränzlein schnürt, wird sie geistig in den Regalen verweilen. Die Backsteinmauern haben ihren Esprit aufgesogen – mögen sie ihn ewig weiteratmen!

Am 22.12. feiert Annli Erler ihre Abschiedsparty in der Buchhandlung – den ganzen Tag. Man kann einfach kommen, am Glücksrad drehen, sich ein Andenken mitnehmen. Aus dem Fotodrucker. Und auch im Herzen.

30 Jahre Findus: 22.12.23 ab 9.30 Uhr, Eintritt frei zur Veranstaltung

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