»Lobbyarbeit in der Sächsischen Literatur ist unser Thema« – damit führen Bettina Baltschev und Anja Kösler, die beiden Geschäftsführerinnen des Sächsischen Literaturrates e.V., den Tag im Literaturhaus Leipzig ein. Am 4.4. strömen hierher 90 Buchhändler*innen, Vermittler*innen, Schulbibliothekar*innen und Pädagog*innen, Autor*innen, Illustrator*innen und entschlossene Netzwerker*innen. Es soll schließlich darum gehen, miteinander in Kontakt zu treten, um Probleme zu offenbaren und Ideen dazu zu entwickeln. Mit geteilter Leidenschaft für das Kinderbuch.
In Gesprächen mit den Mitgliedern fiel dem Literaturrat auf, welche zentralen Fragen es gab: Wie erreichen wir Kinder und Jugendliche, welche Förderprogramme gibt es und wie kann man das finanzieren? Nach wie vor existiere viel Unklarheit, viel Unsicherheit im Förderdschungel, es gäbe wenige Stellen an Schulen und im ländlichen Raum, die sich mit Anträgen und Abrechnung befassen können. Der Fachtag soll ein Startschuss sein, um dem abzuhelfen.
»Persönliche Erlebnisse sind kein Hexenwerk«
Unter den gelungenen Literaturvermittlungskonzepten präsentiert die Dresdner Literaturpädagogin Maike Beier ihre Idee von Literatur FETZT!, dem hiesigen Festival für Kinderliteratur. Nach 9 Jahren Programmplanung für das Literaturfest Meißen mit bis zu 300 Veranstaltungen entwickelte sie das Konzept während einer Denkpause 2018, in der ihr das Festivalfeeling fehlte. Als sie es in der Stadt vorstellte, fiel auf, dass es solche Formate schon von Einzelveranstaltern, wie den Städtischen Bibliotheken, gab – was man vermisste, war ein Format im öffentlichen Raum.
Ohne Zugangsbeschränkung, ohne Eintritt für die Kinder, das war Maike Beier wichtig. Sie reizt es, »in die Köpfe von anderen zu gucken, in ihre Welten hineinzuschauen«, persönliche hautnahe Erlebnisse in der Literatur hält sie für »kein Hexenwerk«. Sie suchte nach Menschen, die diese Idee mit ihr trugen, nach Technik und guten Locations. Im ersten Jahr gab es nur drei kleine Lesungen, dann folgte – ein Glücksfall – die Angliederung an Literatur JETZT!; seit 2019 findet das Festival nun im Zentralwerk statt, die Veranstaltungen verdoppelten sich damit.
Vom Saal mit Technik und Backstage berichtet die Kuratorin stolz, sie könne inzwischen tolle Leute einladen. Aber so ein Event sei auch immer im Prozess, beispielsweise entschied man sich kürzlich wieder für eine Fokussierung auf nur einen Festivaltag. Am Festivalsonntag im September, mit Eiswagen und Helden aus dem Kinderfernsehen, lassen sich auch Formate mischen: Ein Bookcache, bei dem die Autorin als Schatz gefunden wird – so kreativ war die Literaturpädagogin, weil ihr aufgebrochene Formate wichtig sind; sie arbeite »eigentlich immer mit Methodenmix«. Moderator Ralph Caspers reiste, um sein Buch vorzustellen, sogar mit Krücken an. Es gehe nicht darum, vorn zu sitzen und zu lesen, sondern – wieder: In Kontakt zu kommen.
»Kurze Wege für kurze Beine«
»Was es für mich erfolgreich macht, sind die Partner*innen, die das Fest unterstützen und mitdenken«, so leitet Maike Baier an ihre Nachrednerin, Christine Lippmann von den Städtischen Bibliotheken Dresden weiter. Sie ist dort Verantwortliche für Kulturelle Bildung und Integration und Sachgebietsleiterin im Projekt Lesestark! Dresden blättert die Welt auf. Eine Besonderheit ist, dass zum Festival Literatur FETZT! eingeladene Autor*innen zusätzlich Lesungen in der Bibliothek veranstalten – in Zeiten der knappen Fördermittel sind solche Synergien Bares wert. Auch für die Autoren sei das interessant, erklärt Christine Lippmann, sie können kompakt dann mehr verdienen, während die Veranstalter Anreisekosten sparen.
Die Städtischen Bibliotheken Dresden haben nun auch ein Kinderliteraturfest: Kinder.Bücher! – das lesestarke Kinderliteraturfestival. Die Organisatorin ist dabei nicht nur für die Beschaffung von Finanzen, sondern auch für die Ausrichtung von Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche zuständig. In Dresden finden sich 20 Stadtteilbibliotheken über das ganze Stadtgebiet verteilt. Die Grundidee, die dabei greift, ist: Jede Bibliothek verpflichtet sich, umliegende Kitas und Schulen bis Klasse 7 literarisch zu versorgen, das heißt mindestens einmal jährlich Kontakt mit der Einrichtung aufzunehmen und Kooperationen anzuschieben, vor allem: Klassen zu Lesungen einzuladen, um Lehrern Organisation abzunehmen.
»Kurze Wege für kurze Beine«, sei dabei die Devise; auf diese Art kommen jährlich über 6.000 Veranstaltungen zusammen. 2008 trat eine Schweizer Stiftung mit dem Wunsch nach einem Leseförderprogramm an die Bibliothek: 5 Jahre sollte es Förderung geben, danach muss Kontinuität bestehen, außerdem sollte daraus eine feste Arbeitsstelle für die Zuständigkeit generiert werden. 10 Bibliotheken wurden ausgewählt, besonders solche in der Peripherie der Stadt oder in Problemstadtteilen, wo der Zugang zu Kultur erschwert ist. »Wenn man mit der Schulklasse eine Lesung besucht, ist es ganz egal, ob die Eltern zu Hause auch Bücher haben«, das sieht Christine Lippmann als großen Vorteil.
Bereits nach kurzer Zeit weitete sich das Fest auf das ganze Stadtgebiet aus, gleichzeitig steigerte sich die Zahl der eingesetzten Lesepaten von 53 auf 145, die Menge der teilnehmenden Kinder hat sich auf fast 5.000 verdoppelt. Die ehrenamtlichen Helfer bekommen ein exklusives Fortbildungsprogramm: Verlagspräsentationen, Lesetraining oder Workshops mit einer Literaturpädagogin wie Maike Beier. Zum Abschluss zeigt Christine Lippmann Eindrücke der Veranstaltungen: Die Abschlusslesung des lesestarken Vorschuljahres im Zoo – Buchlesung im Giraffenhaus, Vorlesen zwischen Kunstwerken im Albertinum, zum Thema Reisen im Verkehrsmuseum oder die Kooperation mit dem Theater Junge Generation.
»Nicht alles ist dabei mit Geld verbunden«, ermuntert sie die Veranstalter. Auch wenn in diesem Jahr nochmal eine Förderung durch Neustart Kultur hilft, das Programm zu stemmen: »Wir stehen unter dem Druck, was wir machen, auch in Zahlen abbilden zu können.« Die Statistik der Bibliothek zeigt: Bei Wegbrechen der Veranstaltungen sinken die Neuanmeldungen massiv, ebenso die Ausleihzahlen durch Kinder. Leseförderung muss also Eventcharakter mitbringen!
Von dreien, die auszogen, das Lesen zu lehren
Eine ganz andere Konstellation – ebenso aus drei Frauen – präsentiert das dritte Projekt. Literaturwagen, zwinkernd verstanden als viel Fahrerei, ist ganz besonders ein Wagnis, nämlich Kultur aufs Land zu bringen. Gemeint ist das Vogtland, wo Katrin Sitte und Katja Peterfi als Kitaleiterinnen fungierten, bevor sie sich mit Babett Fugmann, vormals Elternteil mit Verlagstätigkeit, zusammentaten, um eine Mission ins Rollen zu bringen: Literaturwagen Vogtland.
Inspiriert war die Aktion von der Schweiz, einem Festival im Berner Umland, bei dem 50 Autoren in 4 Wochen lesen. »Besonders gereizt hat uns«, erklärt Katrin Sitte, »dass man mit so einem Format alle Kinder erreicht, auch die, wo die Eltern kein Festival besuchen würden.« Mit Kontakt zur Bibliothek Auerbach und dem Kulturraum Vogtland-Zwickau wurde die Expertise gefestigt und die Finanzierung geklärt. Da der Anschluss an Literatur- und Kunstvereine nicht glücken wollte, haben die Macherinnen selbst gegründet. Finanziert durch Kultur und Tourismus gibt es jetzt in der letzten Septemberwoche 100 Lesungen mit 10 Autoren an 5 Tagen im Vogtland.
Hauptinteressenten sind Grundschulen, Kosten haben sie nicht. Katrin Sitte erklärt: »Corona hat uns ordentlich durchgerüttelt!« Für die zeitweise digitale Umsetzung kauften sie einen Fachmann ein. Leider rechtfertigte die Nachfrage per Bildschirm wie bei vielen Projekten den Aufwand kaum. Aber bei den Fahrten übers Land lernt man sich kennen: »Der/die eine oder andere Autor*in und Illustrator*in haben seitdem gemeinsam veröffentlicht.« Solche Erfolge verdankt man einer intimen Atmosphäre. Die Veranstalterinnen teilen wichtige Erfahrungen mit den Teilnehmern des Fachtags: Wurde eine Lesung im Kulturraum Nikolaikirche angeboten, war der Ort nur vormittags gut besucht. »Die Lehrer müssen auf jeden Fall mitziehen«, bestätigt Katrin Sitte, »auch mal den Lehrplan zur Seite legen!« Aus dem Publikum gibt es Bestätigung: Wer seinen Lehrplan als Deutschlehrer*in ernst nehme, sei sowieso zu Lesungen verpflichtet. Mitunter müsse man selbst die Erzieher erst für Formate begeistern, aber die Euphorie steckt an: Inzwischen fanden Lesungen der Autor*innen auch an einer Erzieherschule statt – sogar interaktiv.
Und als nächstes?
In der Podiumsdiskussion wird nach weiteren beispielhaften Projekten gefragt. Moderatorin Britta Selle, Redakteurin für Kinder- und Jugendbuch bei MDR Kultur, zitiert eine Statistik, nach der 22 Prozent der Kinder und Jugendlichen überhaupt in ihrer Freizeit nach einem Buch greifen. Was wird da getan?
Robert Elstner, Leiter der Kinder- und Jugendmedienarbeit in den Leipziger Städtischen Bibliotheken, lobt den Schwung seiner Vorrednerinnen: »Gerade im ländlichen Raum gibt es große Unterschiede in den Bedingungen!« Man brauche neben richtig guten Texten auch ein Vehikel, um die Schallmauer zu den Kindern und Jugendlichen zu überwinden. Die Reichhaltige Förderstruktur im Land Sachsen sei auch nicht allen bekannt. Christine Lippmann lobt die Bewerbung beim Sonderprogramm des Freistaats für Sächsische Kommunen Kulturland 2022. Sachsen als Bühne. Bei der Einreichung bleibt neugierig. Kulturstadt Dresden wurden alle geplanten Beiträge durch eine Kulturmanagerin koordiniert und gebündelt eingereicht. Vier Literaturaktionen konnten damit im letzten Kalenderjahr finanziert werden.
Unter den beispielhaften Projekten wird auch der Buchsommer genannt: Mit einem Etat von ca. 150 Tausend Euro schafft man es, Schüler*innen ohne Pflicht in die Bibliothek zu locken, indem man auch leichte Ferienlektüre berücksichtigt. Die Meinung der Jugendlichen wird hoch angesehen: Ein Leserpreis prämiert am Ende 10 Titel, die alle Bibliotheken anschaffen müssen, auch wenn sie sie nicht mögen. Inoffiziell existiere die Haltung, nach der 7. Klasse lohne sich das Investment in die Leseförderung nicht mehr, viele weiterführende Schulen haben wenig Interesse an Aktionen.
Neben Leipzig liest, dem Literaturforum Bibliothek, Kilian – Kinderliteratur anders und hochdrei steuern zwei Autor*innen ihre Erfahrungen bei: Boris Koch, Leipziger Schreibender, kritisiert, dass die ehrenamtliche Präsenz bei Leipzig liest für viele gleichzeitig die Abwesenheit auf ihrer wichtigsten Buchmesse bedeutet. Gerda Raidt, ebenso aus Leipzig, beschreibt, wie lokale Akteur*innen sich gegenseitig helfen: Eben entstand ein Flyer aus dem Kinderbuchstammtisch mit einer Liste aller Angebote, die die Autor*innen gemeinsam an ihre Kontakte weiterleiten. Was sie feststellt: »Projekte in Sachsen haben oft weniger Schlagkraft, weil sie unterfinanziert sind.«
Eine Dresdner Autorin im Publikum, Frauke Angel, kann das bestätigen; sie vergleicht später am runden Tisch Honorare der Bundesländer und führt auch den Gender Pay Gap ins Feld. Diskutiert wird noch viel an diesem Tag, über ehrenamtliches Engagement, wie das bei LeseLust Leipzig e.V., die Rolle des Bödeckerkreises, das Bonner Festival Käpt’n Book, den Sinn und Unsinn, ohne Honorar (wie beim Literaturfest Meißen) zu lesen, über Bayern liest oder die Initiative Literaturnetz Dresden und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit. Auch Teilnehmer vom Netzwerk Freie Literaturszene Berlin tragen bei, wie sie sich für Autorenrechte einsetzen, beispielsweise Honorarempfehlungen listen.
Bei den Zielen ist man sich einig: Förderanträge müssen einfacher sein, am besten über zentrale Stellen gebündelt, gerade für Ein-Personen-Bibliotheken. Der Deutsche Bibliotheksverband muss gestärkt werden. Christine Lippmann schließt ab: »Am Ende geht es immer um Geld und um Personal.«
Man vermutet gemeinsam: Im Mai wird die IGLU-Studie ein Drama offenbaren, nach dem großer Aktionismus entsteht. Wege werden geebnet und Fördertöpfe bereitgestellt – dann schlägt die Stunde der Kreativen. Gut, dass sie sich jetzt kennen.
Text von Josefine Gottwald
Vom 20. bis 22.04. findet Kinder.Bücher! Das 2. lesestarke Kinderfestival in Dresden statt