Vollzeitjob oder Ehrenamt – Literatur ist Berufung! Buchbotschafter setzen sich für das gedruckte Wort ein und verbinden Menschen mit Literatur, auf originellen Wegen … Wir sprechen mit leidenschaftlichen Lesern über Idealismus, Herausforderungen und Kraftquellen.
Maike Beier ist freischaffende Literaturpädagogin und Gründerin der Agentur LiteraTOUR Sachsen. Daneben wirkt sie als eine der ehrenamtlichen Lesepat*innen in Dresden. Seit inzwischen 12 Jahren setzt sie sich für das Lesen ein und baut Kindern Brücken zur Sprache.
Sie haben eine Buchhandels-Ausbildung und mit Diplom. Wie kam es, dass Ihnen das Verkaufen von Büchern irgendwann nicht mehr reichte?
Neben all den Managementaufgaben interessierte ich mich zunehmend mehr für professionelle Leseförderung und das Entstehen stabiler Lesekompetenzen. Ich wollte mehr für die Inhalte und die Leserschaften tun. Literaturvermittlung ist für mich daher eine logische Folge: Man kann dabei sehr viel erreichen und noch früher ansetzen. Das Arbeiten mit Inhalten entwickelt sich zur Botschaftertätigkeit für Literatur an sich – die Menschen sollen einfach gern lesen.
Sie sind außerdem Sprachbildnerin …
Die PISA-Studie hat die Entwicklung von Lesekompetenzen angeregt: In den anschließenden Untersuchungen wurde deutlich, wie wichtig Sprachentwicklung ist. Erst der sichere Umgang mit Sprache kann ja zum lebenslang freudvollen Lesen führen. Meine Leidenschaft wurde durch das Projekt LeseStark! beflügelt, für das ich 2010 als Lesepatin begann, und führte zur Qualifizierung als Literaturpädagogin (ARS) und Sprachbildnerin (DJI). Mittlerweile arbeite ich sehr viel als Referentin für Pädagog*innen, um Multiplikator*innen auszubilden. Jede*r Heranwachsende braucht einen Büchermenschen im Leben, der mit ihm eine Schlüsselerfahrung im Lesen macht, die er oder sie nie mehr vergisst.
Auf Ihrer Website schreiben Sie über »dialogorientierte Vermittlung für Kinder« – wie sieht das in der Praxis aus?
Der philosophische Leitgedanke umschließt nicht nur das Vorlesen. Geschichten verlangen nach Austausch, der uns einander näherbringt. Ich versuche in allen Veranstaltungen, die Kinder vor allem selbst zu Wort kommen zu lassen, da der Dialog und der Austausch zu Sprachverständnis führt. Das Medium ist dabei gar nicht so entscheidend, sondern vor allem die Haltung der Nutzer: Man muss sich empathisch den Gedanken der Kinder und Leser*innen zuwenden, sozusagen in fremde Köpfe schauen – das macht einfach Spaß!
Auch nach 12 Jahren noch!
Es sind ja nicht nur die dankbaren Kinderaugen und die Inspiration durch gute Literatur. Das Umfeld – andere Enthusiasten in meinem Netzwerk – und das Lesen als Kraftquelle geben immer wieder Impulse. Im Frühjahr wurde der erste nationale Lesepakt geschlossen, der mehr Engagement für die Förderung bekundet – trotzdem ist das eben oft erstmal ehrenamtliches Engagement; ich bin der Meinung, perspektivisch muss man für professionelle Aufgaben auf professionelle Akteur*innen setzen. Leidenschaft darf nicht der einzige Antrieb sein, der positive gesellschaftliche Beitrag muss sich auch in einem gesicherten Leben zeigen.
Wie alt sind die Kinder, bei denen Sie ansetzen?
Am wohlsten fühle ich mich in der Frühpädagogik, aber eigentlich umfasst es alle Altersgruppen von der Krippe bis zum Ende der Grundschule, denn viele Bilderbücher sind Kunstwerke, die Weltwissen beinhalten.
Sie kuratieren unter anderem das Kinderevent Literatur FETZT! Was ist Ihnen wichtig bei der Programmplanung solcher Festivals?
Ich suche nach Innovationen: Neuen Akteur*innen oder Themen, um ihnen Nähe und den direkten Austausch zwischen Künstler*innen und – zukünftigen – Leser*innen zu schaffen. Ich achte darauf, verschiedene Altersgruppen ansprechen, zum Beispiel auch Jugendliche. Eine große Bandbreite und Diversität in den Genres ist mir wichtig. Für mich sind alle Leser wertvoll, und alle Lesearten sollen sich willkommen fühlen. Ich bin selbst eine Vielleserin, aber es ist heute auch für eine Literaturpädagogin kaum mehr möglich, die 8.000 Neuerscheinungen allein im Kinder- und Jugendbereich zu überblicken. Entscheidend ist doch, dass Literatur das Leben der Menschen bereichert, ganz egal auf welche Art. Mein Bruder zum Beispiel ist Tischler und liest heute wahrscheinlich 1- bis 2-mal im Jahr eine Fachzeitschrift. Man muss keine Goethe-Gesamtausgabe auf dem Nachttisch haben, um aktiv am Leben teilhaben zu können.
Wie stark wurde Ihre Tätigkeit durch die Pandemie eingeschränkt?
Im Lockdown vermisste ich die direkten Begegnungen und die Begeisterungsfähigkeit, die daraus entsteht. Eigentlich wollte ich im Mai 2020 mein 10-jähriges Firmenjubiläum feiern … Tatsächlich muss ich jetzt fast alles neu aufbauen. Trotzdem bin ich zuversichtlich: Ich nutzte die Zeit für Experimente und sehe jetzt neue Chancen, wie zum Beispiel durch digitale bilinguale Bilderbuchpräsentationen. Generell freue ich mich, meiner Leidenschaft einen beruflichen Kontext geben zu können.
Wird das die Zukunft bringen?
20 Jahre LiteraTOUR Sachsen hört sich doch auch gut an! Obwohl unzureichende Finanzierungsmöglickeiten immer wieder bremsen, bleibt es ein Privileg, die Freiheit zu haben, Gedankenexperimenten zu folgen und neue Ideen und Methoden zu entwickeln, um die Freude an Literatur anderen nahe zu bringen. Ich liebe es, Neues in der (Bilder-)Buch-Welt entdecken zu können und dabei Sprachbilder und Bildsprache(n) zu entschlüsseln.
Haben Sie einen Buchtipp für uns?
Es gibt dieses beeindruckende Kinderbuch von Jon Agee: The Wall in the Middle oft he Book (Deutsch: Auf der anderen Seite lauert was, Dragonfly Verlag). Das Buch ist von amnesty international empfohlen und handelt davon, Grenzen in den Köpfen zu überwinden. Auf beiden Seiten der Mauer sind Protagonisten, zum Beispiel Tiere, die sich vor dem Unbekannten auf der anderen Seite fürchten. Ein vermeintliches Monster rettet dann mit seinem langen Arm zum Beispiel jemanden vor steigendem Wasser – man staunt und ist berührt.
Das Interview führte Josefine Gottwald