Thomas Braatz, Foto von Jörg Ritter
21.02.2023
Literaturnetz Dresden

Menschen hinterm Buch: Der Vorsitzende vom Science Fiction Verein

Thomas Braatz plant Anthologien und Conventions mit Zukunftsvisionen

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Vollzeitjob oder Ehrenamt – Literatur ist Berufung! Buchbotschafter*innen setzen sich für das gedruckte Wort ein und verbinden Menschen mit Literatur, auf originellen Wegen … Wir sprechen mit leidenschaftlichen Leser*innen über Idealismus, Herausforderungen und Kraftquellen.

Thomas Braatz ist Vorsitzender des Freundeskreis Science Fiction Leipzig e.V. FKSFL – zu DDR-Zeiten die erste Institution, die den englischen Begriff im Namen führte. Heute wie damals fördert der Verein Autor*innen mit Veranstaltungen und Publikationen, doch der literarische Schwerpunkt erweitert sich.

Herr Braatz, Ihr Verein ist durch bewegte Zeiten gegangen. Was hat sich in Ihrem Wirken über die Jahrzehnte verändert?

Die Anfänge liegen wirklich eine Weile zurück … Der Verein wurde 1985 gegründet, ich stieß aber erst 1988 dazu und wurde Anfang der 90er Jahre Vorsitzender des Freundeskreis SF. 1983 gab es an der Volkshochschule die Veranstaltungsreihe »Science Fiction in der DDR-Literatur«. Die man früher Utopie oder Wissenschaftliche Phantastik nannte. Im Anschluss saßen einige Interessent*innen in der Studentenkneipe »Braustübl«, die im Volksmund »Zenzi« genannt wurde, zusammen. So fand sich der Verein. Ziel war es von Beginn an, sich der SF-Literatur zu widmen, das haben wir so beibehalten. Inzwischen beziehen wir aber auch andere Genre mit ein, wie Horror oder Fantasy, wir haben das Spektrum erweitert. Zusätzlich betrachten wir Veröffentlichungen in den Bereichen Film und Grafik.

Schon zu DDR-Zeiten luden Sie Science Fiction Autor*innen zu Lesungen ein …

Wir veranstalteten von Beginn an öffentlichen Lesungen, die Vereinsmitglieder erhielten dafür immer gesonderte Einladungskarten. Vor der Wende war das ziemlich schwierig, viele Schreibende lebten sehr gut von Ihren Veröffentlichungen und hatten nicht unbedingt Not, Lesungen zu veranstalten. Die Bücher bekam man oft nicht: Die DDR produzierte viel fürs Ausland, wie die Werke von Michael Ende. Ich konnte eine DDR-Ausgabe der Unendlichen Geschichte erst weit nach der Wende erwerben! Die Auflagen waren schnell verkauft und es gab Verkaufskontingente.

An ausländische Schriftsteller*innen kam man damals natürlich gar nicht ran. Heute ist das ganz anders: Auf unserer letzten Convention haben Martha Wells, Jasper Fforde und Ben Araonovitch gelesen – dafür war die Pandemie zeitweise spürbar …

Inwiefern hat Sie das beeinträchtigt?

Unsere regelmäßigen Treffen und die Lesungen im Haus des Buches waren nicht möglich. Die 15. Convention von 2020 stand auf wackeligen Beinen: Einige Teilnehmer sind abgesprungen, aber wir haben das Event im September unter den schwierigen Bedingungen durchgezogen – und schon im Oktober gab es den nächsten Lockdown! Für die Dauerhaftigkeit und die Leistung unter den Umständen erhielten wir für das Jahr 2020 den Kurd-Laßwitz-Preis.

Der Preis ist einer Ihrer Meilensteine. Wofür wird er vergeben?

Der Preis wird seit 1980 und ab 1991 unter der Regie von Udo Klotz aus München vergeben. Wir erhielten ihn zusammen mit Erik Simon für das Jahr 1999 schon einmal: Damals, weil wir eine Ausgabe von Lichtjahr herausbrachten, die mit der Wende unveröffentlicht geblieben war. Dieser Almanach war ein Standardwerk der DDR, es handelte sich um Nummer 7. Der Verlag war aufgelöst, und wir taten uns mit Erik Simon zusammen, einem Autor, der die Hexer-Reihe (The Witcher) übersetzt und in Dresden lebt. Wir gestalteten die begonnene Lichtjahr 7-Ausgabe grafisch im alten Layout. Das kam in der Szene gut an.

Die Elstercon hat ihren Namen noch von der Elsterstraße, in der der Kulturbund saß. Auch was die Struktur von Kulturinstitutionen angeht, haben Sie einen Wandel mitgemacht …

Da blicken wir auf Erfahrungen! 1992 haben wir die erste Convention organisiert, damals noch mit Geld vom Kulturbund, später von der Stadt. Ab 1995 existierten wir als eigenständiger Verein unabhängig übergeordneter Strukturen. Damit konnten wir selbstständig Fördergelder akquirieren. Als 1996 das Haus des Buches eröffnet wurde, kooperierten wir und machten die Veranstaltung dort. Einige Träger der Finanzierung für Einzelveranstaltungen sind aber inzwischen wieder weggebrochen.

Ihr Verein ist Mitglied im Sächsischen Literaturrat. Setzen Sie sich für Vernetzung ein?

Auch der Sächsische Literaturrat gründete sich in dieser Zeit. Die Veranstaltungsreihe Bei uns zu Gast wurde damals darüber gefördert, das war vielleicht der Anreiz. Jetzt gibt es die Förderung nicht mehr, aber die Mitgliedschaft ermöglicht den Austausch mit anderen Vereinen, wie dem Arbeitskreis für vergleichende Mythologie AVM. Man erfährt auch Neuigkeiten oder von Fördermöglichkeiten. Als es das Angezettelt-Heftchen noch gab, fanden wir dort die Neuerscheinungen und konnten unsere eigenen Publikationen bekanntmachen. Das erfolgt jetzt online.

Laut Satzung ist das Ziel die Förderung der SF Literatur. Ich sehe, dass das auf verschiedene Arten passiert. Was geben Sie selbst heraus?

Beispielsweise brachten wir zur 1.000-Jahr-Feier der Stadt Leipzig den Band Leipzig – Visionen gestern und heute heraus, darin waren unrealisierte Bauprojekte und Zukunftsideen skizziert, die man über die Zeit hatte. Vieles davon wurde nie umgesetzt, das hatte einen gewissen Humor. Ich hielt zur Premiere einen Vortrag über »Das visionäre Kugelhaus«. Abgerundet wurde der Band mit Science Fiction Geschichten, die teilweise in Leipzig spielten; von Erich Kästner bis Andreas Eschbach waren Texte dabei, aber auch von Christian von Aster oder Erik Simon.

Im Gegensatz zu anderen Literaturvereinen befinden sich in unserem Verein selbst aber kaum Schreibende; wir setzen uns aus Leser*innen zusammen und einigen Grafikern, die nebenberuflich tätig sind.

Braucht Nischenliteratur besonders viel Lobbyarbeit?

Das Regal der Science Fiction wird immer schmaler: Von der einen Seite drängt die stärker werdende und hoch nachgefragte Fantasy von der anderen bestimmen Computerspiele die Freizeit. Die eigentliche Science Fiction zerfällt damit. Zu DDR-Zeiten konnten wir uns über jedes Buch unterhalten, weil es einfach wenig gab. Heute tauscht man eher Lesetipps aus. Das Angebot allein der Literatur ist riesig. Ein Sammler aus Berlin entschied schon 1990, das er nicht mehr jedes SF-Heft oder Buch kaufen wird, da es einfach nicht bezahlbar war.

Der Begriff der Science Fiction wird auf Romanen auch oft nicht mehr aufgedruckt, bei vielen Leser*innen gibt es eine Schere im Kopf: Wenn man das Buch als Thriller ausweist, lesen die Menschen es und merken oft gar nicht, dass es Science Fiction ist. Dem Label haftet der Verdacht der Trivialität an. Im Moment ändert sich das ein wenig: Im Kino kommt der SF-Bereich hingegen über die Avatar-Filme oder Reihen wie Avengers mit großer Macht daher. Der Schwarm erscheint jetzt als Fernsehserie, das Buch wurde damals als Roman etikettiert. Auch Juli Zeh beispielsweise lehnt die Nominierung für den Kurd Laßwitz Preis ab. Obwohl ihre Bücher in diesem Genre spielen.

Denken Sie, die Bücher profitieren von den Filmen?

Das Buch ist ja meist besser als der Film, weil alles im Kopf abläuft. Vielleicht ist das eine Beziehung.

Ich finde es aber auch verständlich, dass die Leser*innen seit der Wende auch die Literatur aus dem Ausland kennen lernen wollen – für viele DDR-Autor*innen war das ein starker Einbruch. Was es im deutschsprachigen Raum noch gab, war geradezu homöopathisch: Meine Highlights waren die Prokop-Krimis und Andymon von Angela und Karlheinz Steinmüller.

Mit der Literatur ist es wie immer in der Kunst: Nur die Spitze der Autor*innen kann davon leben. Die Steinmüllers haben sich umorientiert.

Als Begleitband zur Convention erscheint eine Anthologie. Wie sieht die aus?

Das ist eine schöne runde Sache. Die letzte hat 500 Seiten umfasst und war damit besonders stark. Die anwesenden Autor*innen sind dort mit ihren Werken vorgestellt, es gibt Rezensionen und Interviews. Von Martha Wells hatten wir in Fahrenheit 145 – Erde im Fieber ihren Artikel »Die Zukunft erneut ausgraben« zur Benachteiligung der Frauen (u.a. Autorinnen, Regisseurinnen, Mitarbeiterinnen) bei der NASA übersetzen lassen, das war ein schöner Mehrwert. Viele Beiträge werden mit Grafiken ergänzt.

Ist der Eventfaktor wichtig für den heutigen Buchmarkt?

Nun ja, die Weltcon hat immerhin bis zu 7.000 Besucher … Eine Convention regt an, sich an neue Autoren heranzuwagen: George R. R. Martin haben wir auf diese Art für uns entdeckt, lange bevor Game of Thrones populär war. Von der Literaturseite ist die Elstercon auch die in Deutschland interessanteste Convention: Wir bieten Panels, das heißt Diskussionsrunden an, man ist dort den Autor*innen sehr nahe.

Die Leute entdecken immer etwas Neues, und wenn es ein antiquarisches Buch ist. Im kleinen Saal des Literaturhauses lassen wir jedes Mal einen Buchmarkt stattfinden.

Das klingt schon nach Aufwand …

Wir führen die Convention jedes zweite Jahr für jeweils drei Tage durch, zuletzt im September 2022. 150 Besucher aller Geschlechter strömen dann ins Haus des Buches. Das zu stemmen ist ein Kraftakt. Der Verein hat jetzt 15 Mitglieder, viel hängt an mir und meiner Familie, wie die Erstellung von Badges für den Eintritt oder die Kassentätigkeit. Als Organisator ist es mir eigentlich am liebsten, zu einer anderen Con zu gehen!

Sie brauchen also viel Leidenschaft!

Oft denken wir über unsere Triebfeder gar nicht nach. Ich arbeitete selbst noch an einem Werk über Robert Kraft, einen Leipziger Autor, der zwischen 1895 und 1916 wirkte – danach war er schon vergessen. Mir tat das weh, als ich ihn entdeckte. Er schrieb utopisch-phantastische Abenteuerliteratur, und ich veröffentlichte seine Bibliografie und einige seiner Werke in einer Edition mit bisher 17 Bänden. Der Verlag von Karl May hatte damals die Rechte erworben, aber hat die Publikation u.a. aus Zeitmangel und Furcht vor Konkurrenz für Karl May lange Zeit zurückgehalten. Ich biete ein Symposium zum Autor an – vier Symposien gab es bereits – und habe die Arbeit an der Biografie unterstützt. In den nächsten drei Jahren soll sie vollständig überarbeitet erscheinen.

Warum erscheint seine Literatur zeitgemäß?

Was Kraft schrieb, hat eine unglaubliche Modernität. Schon 1895 erschien ein Roman in fünf Bänden: Das 4.000 Seiten umfassende Werk Die Vestalinnen, beschreibt eine Reise um die Welt, bei der die Frauen (Vestalinnen) die Heldinnen sind. Sie bauen sich ein Schiff, die »Vesta«, und wollen damit um die Welt segeln, kein Mann darf mit an Bord gehen. Die Männer ihrerseits wollen sich den Frauen beweisen, sie bauen ihr eigenes Boot und folgen ihnen mit der »Amor«, um die Frauen zu beschützen, die können das aber gut selbst.

Der Verein hat vorwiegend männliche Mitglieder. Zur Elstercon lasen aber Martha Wells, Theresa Hanning oder die gerade verfilmte Emma Braslawsky – Sie sagen, dass es auch Literatur für Frauen ist …

Dass Leserinnen manchmal abgeschreckt sind, ist dem Technischen geschuldet, obwohl Science Fiction nicht immer von Technik handelt. Gute Science Fiction handelt von zwischenmenschlichen Beziehungen, die Technologie ist dann Beiwerk. Im Grunde geht es um eine Darstellung der Gegenwart mit Mitteln der SF, die einem mehr Freiheiten lässt.

Wenn wir im Rahmen der Convention in Schulen lesen lassen, ist das Publikum begeistert, die Mädchen machen dann sehr gut mit. Ein Thema wie die Klimakatastrophe interessiert die jungen Menschen – unabhängig vom Geschlecht.

Welches Buch würden Sie gern empfehlen?

Ich war beeindruckt von Richard Morgan: Altered Carbon (Das Unsterblichkeitsprogramm). Der Stoff wurde bei Netflix die bis dahin teuerste Eigenproduktion. Vor einigen Jahren war der Autor bei uns. Das Buch hat mich damals beeindruckt, weil es so viele virtuelle Möglichkeiten bot. Die Idee ist, dass man das Wissen aus einem menschlichen Körper extrahiert und in einen neuen steckt. Der Held ist eine Art Detektiv, er schlüpft in verschiedene Körper, und auch in innere Probleme, beispielsweise wie er sich mit dem Körper einer Frau zurecht findet. Wohlhabende Menschen lassen sich dann immer wieder neue Körper anfertigen und sterben nicht. Dadurch bleiben aber auch ihre Kinder lebenslang Kinder. Sie erben nicht und stehen in der Hierarchie ihrer Eltern. Eine spannende Frage ist auch, was mit der Psyche passiert. Christliche Strömungen sind im Buch dagegen: Sie wollen, dass man sterben darf. Die Frage, wie erstrebenswert Unsterblichkeit ist, drängt sich auf.

Was ist Ihre persönliche Zukunftsvision, wenn Sie an die Literatur denken?

Science Fiction wird weiterhin aktiv sein, vielleicht nicht immer in der Form von Romanen. Aber die Menschen wird immer interessieren, wie ihre Zukunft aussehen kann. Natürlich kann das lustig werden, wenn SF sich zu sehr auf Technologie bezieht – gute Science Fiction kann man auch 30 Jahre später noch lesen.

Im September 2024 gibt es die nächste Convention – beginnen Sie schon mit der Planung?

Eigentlich stecken wir noch in der Abrechnung der letzten …

Das Gespräch führte Josefine Gottwald

 

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