Andreas Heidtmann, Bild: Sascha Kokot
19.02.2024
Literaturnetz Dresden

Menschen hinterm Buch: Der Lyrik-Verleger

Andreas Heidtmann bringt das Gedicht zu den Leuten

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Vollzeitjob oder Ehrenamt – Literatur ist Berufung! Buchbotschafter*innen setzen sich für das gedruckte Wort ein und verbinden Menschen mit Literatur, auf originellen Wegen … Wir sprechen mit leidenschaftlichen Leser*innen über Idealismus, Herausforderungen und Kraftquellen.

Wer im Buchmarkt bestehen will, muss sich spezialisieren – davon ist Andreas Heidtmann überzeugt. Mit dem »Poetenladen« baut er seit fast zwanzig Jahren nach dieser Maxime ein Netzwerk auf und verbindet Menschen eines sensiblen Lebensstils. Für sein Engagement erhielt er dieser Tage zum zweiten Mal den Sächsischen Verlagspreis.

Wir gratulieren zum Sächsischen Verlagspreis 2024 für die Buch-Gestaltung! Würden Sie sagen, für Lyrik ist die Aufmachung der Werke besonders wichtig?

Ein Buch ist ein Gesamterlebnis. Von Beginn an habe ich alle Ausgaben mit illustrierten Covern herausgegeben. Neben meiner langjährigen Illustratorin und Grafikerin Miriam Zedelius gestaltet auch Franziska Neubert sehr viel; beide geben den Werken ihr individuelles Gesicht. Es geht dabei nicht zuletzt um die Identität eines Unternehmens, man muss das Label erkennen. Auf der Buchmesse sind mir schon oft Menschen begegnet, die »Covershopping« betrieben. Wir haben es gut geschafft, dass die Leute nach den Büchern greifen – das muss bei dem Genre etwas heißen! Lyrik ist nicht für jeden leicht zugänglich, ein gutes Cover aber schon. Würde ich die Aufmachung trist und streng halten, und dann verbirgt sich auch noch Lyrik im Inneren, würde das Buch vielleicht liegenbleiben. Die Illustratorinnen schaffen da einen »Anfass-Effekt«.

Nun sind Sie ja nicht nur Verleger; früher waren Sie Pianist, und in den letzten 3 Jahren veröffentlichten Sie selbst zwei Romane. Woher kommt Ihre Lyrikliebe?

Ich habe auch vor dem Germanistik-Studium schon immer viel gelesen. Dabei habe ich nie unterschieden, ob ein Autor oder eine Autorin Lyrik oder Prosa macht – für mich waren das alles Schriftsteller*innen. Irgendwann stellte ich eher zufällig fest, dass ich ein großer Gedichteleser war … Natürlich habe ich auch Kafka, Böll oder Thomas Mann gelesen, aber die Lyrik war mir immer sehr nahe. Ich selbst bin dagegen gar kein Lyrikschreiber, aber das empfinde ich in meiner verlegerischen Rolle als Vorteil.

Sie sagen, einen Verlag zu gründen, ist »die beste Art, sein Geld zu verlieren«. Andererseits hat Sie noch nie eine Auflagenzahl enttäuscht …

Enttäuscht zu sein, hat mit falschen Erwartungen zu tun. Wenn wir in der Lyrik dreistellige Auflagenhöhen verkaufen, ist das gar nicht so schlecht, über tausend Stück zu kommen, ist richtig viel. Das sind die Realitäten. Man passt seine Erwartungen daran an und weiß dann, womit man arbeitet. Aber eine Veröffentlichung hat so viel mehr Aspekte als den Umsatz! Meine Motivation kommt zum großen Teil aus dem Inneren: Mir macht es Freude, immer wieder neue Texte zu lesen und Künstlerinnen und Künstler zu entdecken. Ich sehe es durchaus als kreativen Akt, Bücher in die Welt zu bringen. Daher ist meine Enttäuschung nie groß, ich konzentriere mich auf die Prozesse und Inhalte.

Auch wenn Sie von Umsätzen abhängig sind?

Seit der Jahrtausendwende ist die Mischkalkulation in Verlagen nicht mehr üblich, heute muss jedes Buch für sich Gewinn machen – dabei werden aber nicht alle Titel mit dem gleichen Aufwand beworben. Im Verlag will ich Lyriker*innen eine Heimat geben, die sich im großen Publikumsverlag verloren fühlen. Ich bin überzeugt, dass nur eine Spezialisierung uns im Buchmarkt weiterbringt.

Mittlerweile haben Sie 150 Titel im Programm, sie erscheinen meist im Hardcover mit Schutzumschlag. Begonnen hat Poetenladen 2005 als Webportal …

Diese lange Reise hat dem Verlag genützt, dabei war der Communityaufbau gar kein vorrangiges Ziel. Es ging eher um ein künstlerisches Experiment: Dieses Internet war nun da, und es war wie eine riesige Utopie. Man fand viele Dichter und Poetinnen im Netz noch nicht vertreten. Es herrschte eine gewisse Pionierstimmung; Google, Facebook und Co. hatten noch nicht alles vereinnahmt … Ich selbst beherrsche HTML, hatte mir aber auch professionelle Gestalter gesucht, stellte Profile und Textauszüge von Künstler*innen ein, um Lust auf Ihre Werke zu machen. Es war eine Netzwerk-Bestrebung. Häufig veröffentlichte ich Debüts, mehrere Autorinnen wandten sich auf der Seite zum ersten Mal an Publikum und fanden darüber einen Verlag – sie waren dort ja neben gestandenen Poeten gelistet. Am Ende waren es über 1.000, und die Redaktion war unglaublich zeitintensiv.

Als nächstes gab es die Literaturzeitschrift Poet, später Poetin. Inzwischen wird sie nicht mehr gedruckt – wie ist die Perspektive für die Zeitschrift?

Auf dem Weg zum Verlag war das ein Zwischenschritt. So ein Webportal hat etwas Flüchtiges. Wir gaben die Zeitschrift mit 27 Ausgaben heraus, meist mit internationalem Schwerpunkt: Die letzte beschäftigte sich mit hebräischer Literatur, das geht natürlich mit Redaktionsaufwand einher – manche Hefte hatten 400 Seiten!

Ich entschied mich, die Zeitschrift zurückzustellen, um das Profil des eigentlichen Verlags zu schärfen; so eine Magazinausgabe entspricht der Kraft von zwei oder drei Einzeltiteln, die ich fortan mehr machen kann. Vielleicht lebt das Magazin in der Zukunft neu auf, dann womöglich als Youtube-Format oder schmaler gestaltet … Ich halte mir das offen.

Moderne Formate sind Ihnen wichtig. Auch auf Lyrikfestivals sind Sie aktiv, was treibt Sie da an?

Den Eventaspekt sollte man in der Literatur nicht unterschätzen. Eine Lesung ist natürlich mehr als das Wort auf dem Papier: Man hat die Stimme, den Ausdruck, die Gestik. Einige Künstler*innen können ihre Lyrik performen, dadurch entsteht auf jeden Fall ein Mehrwert; man liest dann einfach nicht mehr still für sich selbst. Wenn man sich den Lyrikband als geschlossenes Buch vorstellt, wird es beim Vortrag geöffnet. Der Text auf dem Papier ist vielleicht wie das Notenblatt zu einer Partitur – manche Menschen wären damit alleingelassen.

In Ihrem Verlagsprogramm stehen Namen von Elke Erb, über Uwe Kolbe bis Volker Sielaff … Was denken Sie, wohin sich die Lyrik entwickeln wird?

In der Vorstellung Adornos gab es eine Avantgarde, die durch die avanciertesten künstlerischen Mittel definiert war; daran wurde bei der Entwicklung angeknüpft. Alles andere betrachtete man als rückständig. Für mich ist das ein veralteter Gedanke, heute gibt es sozusagen mehrere Avantgarden: Poetinnen und Poeten beziehen sich beispielsweise auf Brecht, Huchel oder Benn und entwickeln einen Strang weiter. Wir leben in einer Zeit der Gleichzeitigkeit, und viele Dichter*innen gehen gut damit um. Ich sehe es als eine eigene Kunst, aus dieser Palette der Vielfalt einen Strang auszusuchen und sich daran zu entwickeln. Das macht unsere Zeit unglaublich spannend.

Sind die Herausforderungen vor allem wirtschaftlicher Natur?

Ich bin davon überzeugt, dass der Buchmarkt kleiner werden wird. Andererseits ist das Theater nicht gestorben, als das Kino kam, und auch das Kino gibt es noch trotz des Fernsehens. Wir leben jetzt schon in einer Parallelität von gedrucktem und elektronischem Medium, das wird sich weiter diversifizieren. Frau Klepsch formulierte es auf ihrer Rede zum Sächsischen Verlagspreis etwa so: Jeder Verlag muss sein Thema finden – wer überleben will, muss sich spezialisieren. Dafür greifen wir dann auf eine sehr treue Leserschaft zurück!

Gibt Ihnen das Kraft?

Ich habe das Glück, dass für viele, die zu unseren Büchern greifen, das Lesen Teil ihres Lebensstils ist. Es gibt da sehr leidenschaftliche Leserinnen und Leser, die immer wieder kommen; auch in der Coronakrise blieb das konstant. Wichtig ist, dass man mit dem »Buchvirus« möglichst früh infiziert wird – in Leseförderungen für Heranwachsende muss meiner Meinung nach die meiste Energie fließen.

Welchen Buchtipp haben Sie für uns?

Zuletzt hat mich ein philosophisches Werk sehr begeistert: Wer noch kein Grau gedacht hat von Peter Sloterdijk. Das ist ein etwas schwieriges aber sehr lesenswertes Buch, erschienen im Sommer 2022. Sloterdijk thematisiert darin über die Farbe Grau quasi die ganze Kunst und betrachtet sie aus dieser Perspektive, von Kafka, über die Literatur bis zum Film … Es geht um Grautöne als Metapher, als Stimmung, aber auch als politisch-moralische Zweideutigkeit. Diesen Ansatz zu wählen, fand ich faszinierend.

 

Das Gespräch führte Josefine Gottwald.

Weitere Preisträger des Sächsischen Verlagspreises 2024 sind der Sandstein Verlag in der Kategorie »Beitrag zur Wertschöpfung« und der Verlag Hentrich & Hentrich in der Kategorie »Qualität des verlegerischen Profils«. Die So geht Sächsisch-Sonderpreise für die »Sichtbarkeit des Standortes Sachsen« gingen an Edition Wannenbuch und Klett Kinderbuch.

 

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