Foto: Schöne Bücher Netzwerk
Katja Völkel im Gespräch mit Gerhard Richter, Foto: Ultraviolett Verlag
Anna Jung und Leif Greinus von Voland & Quist, Foto: privat
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30.10.2023
Josefine Gottwald

Wir in Frankfurt!

Was hiesige Akteure auf Deutschlands größte Buchmesse zieht

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Frankfurt ist die Stadt, wo der Main streamt … So schlechte Wortspiele drängen sich auf, wenn sich in Halle 3 nicht mehr atmen lässt. Die Frankfurter Buchmesse, 2023 zum fünfundsiebzigsten Mal, ist die größte Buchmesse Deutschlands. Wikipedia weist die Tradition bis zu Gutenberg nach, aber das lesen wir ein andermal – hier hat jetzt niemand Zeit: Stände werden bereits abgesperrt, weil Buchfans sie überrennen, auf der Jagd nach Buchboxen mit limitierten Farbschnitt-Ausgaben, dem letzten Schrei bei Bookstagram.

Ab mittags geht in den Gängen gar nichts mehr, die Rolltreppen stehen, immer mehr Menschen strömen in die Hallen, ein Ruf nach Frischluft wird laut. Im Gegensatz zur Leipziger Buchmesse gibt es in Frankfurt sogar Hallen übereinander, dazu ein Außengelände, Shuttlebusse, Rollbänder wie auf dem Flughafen. »Mir ist das viel zu groß!«, schreibt eine Dresdnerin in der Facebookgruppe Literatur erleben in Dresden. Viele Literat*innen finden sich nicht, die den Weg begeistert auf sich nehmen – dennoch: Manche Aussteller*innen, die man bei Dresden (er)lesen schon traf, leisten sich einen Gemeinschaftsstand.

Schöne Bücher

Als ich Katja Völkel um ihr Messe-Fazit bat, sagte sie: »Machen wir nochmal!« Seit 2020 leitet sie den Ultraviolett Verlag, insgesamt blickt sie auf zehn Jahre Messeerfahrung: Vorher gründete sie in Weimar den Eckhaus Verlag, vertreten am Gemeinschaftsstand Thüringen. Schöne Bücher ist das Pilotprojekt, dem sie sich dieses Jahr widmet. Die Aktion des Schöne Bücher-Netzwerks soll Verlage großflächig sichtbar machen.

Die Pandemie war schuld – wie an vielem –, dass sich das Netzwerk gründete. Hundert Verlage, mittelständige Unternehmen, die sogenannten Independent Labels, schlossen sich zusammen; jetzt haben sie ihre eigene Reihe. Die Sammelausgaben sind mindestens genauso schön wie die Bibliothek der Süddeutschen – auf jeden Fall sind sie vielseitig!

Zehn verschiedene Genres kommen in einheitlicher Gestaltung daher, nur das Logo verrät das Label. Darunter sind Thriller und Reisenotizen, auch ein Literaturpreisträger, der beim chemnitzer Verlag Paperento erscheint. Ein Liebesroman, Satiren, Miniaturen … Zur Reihe macht das Netzwerk gemeinsame Veranstaltungen und bündelt so Energien. Jedes Buch hat einen Blog- und einen Buchhandlungspaten oder eine -patin; solche Multiplikator*innen befördern auch die anderen Veröffentlichungen.

Menschen im Dampfkessel

Der Beitrag vom Ultraviolett Verlag sollte ein ernsthaftes Buch werden. Restluft ist der Titel, der in Frankfurt fast passend erscheint: Menschen in eine Kapsel gequetscht, auf dem Mars, wie man sich auch auf dem Buchmarkt fühlen kann, wenn Tiktok-Videos und Reels wie Raketen an einem vorbeiziehen. Die Verlegerin nennt den Roman eine kammerspielartige Sozialstudie; ihren Stammautor Gerhard Richter kauft sie inzwischen blind ein.

»Das Szenario ist wie ein Dampfkessel: Acht Crewmitglieder und ein Rechner, eine Art künstlicher Intelligenz, die die derzeit beste Lösung ausspuckt. Man ahnt, dass es eskaliert …« Spannung ab der ersten Seite, das braucht eine schnelllebige Zeit. Auf den Messefotos sieht Verlegerin Völkel euphorisch aus; sie freut sich über die Aufmerksamkeit für das Werk.

Auch das Netzwerken mit Kollegen sei ihr besonders wichtig. Von den zehn anwesenden Verlagen des Stands kamen drei aus Sachsen. Dabei ist Mirabilis aus Klipphausen. Wie Ultraviolett macht er tiefgründige Belletristik, trotzdem ist die Zusammenarbeit harmonisch, manchmal tauschen die Verlagsleiterinnen auch Manuskripte aus. »Konkurrenzgedanken sind da nicht vordergründig«, betont Katja Völkel. »Im Grunde bin ich eine One-Woman-Show in meinem kleinen Kosmos! Das Netzwerken schlägt mir Brücken in die Welt und bringt mir Feedback.« Man arbeite sonst einfach zu sehr vor sich hin. Und reine Online-Aktivität sei nicht ihr Weg.

Anfängerfehler macht Katja Völkel aber nicht mehr: Mit der Absicht eines Return of Invests dürfe man nicht auf die Messe fahren. »Natürlich zahlt man bei so einem Event drauf, da muss man sich nicht belügen. Aber ohne Messe bin ich unsichtbar!« Sie habe viel Laufkundschaft generiert, oft Aha-Effekte erzielt. Unglaublich viele Menschen kennen die Buchreihe eben noch nicht. »Was ich auf der Messe vor allem bekomme, ist eine Antwort darauf, wofür ich eigentlich arbeite!« Und das ist die Anstrengung wert, sogar vier Tage an einem Stand zu stehen.

Reisen in Gedanken

Zu Fuß unterwegs und ganz ohne Stand ist Nicole Czerwinka, Kulturjournalistin und Chefredakteurin des Onlinemagazins Elbmargarita. Sie besucht die FBM zum zweiten Mal; vor allem die Größe und Internationalität der Messe begeistern sie. Als Öffentlichkeitsarbeiterin der Dresdner Musikfestspiele nutzt sie das Event für Treffen mit wichtigen Medien, wie dem ZDF oder 3Sat.

Aber der Besuch von Buchmessen motiviert sie auch, selbst zu schreiben: Zum ersten Mal ist sie in diesem Jahr auch als Autorin auf der Messe. 2022 erschien ihr Reiseführer für einen Insider-Trip in Dresden bei MairDumont in der Marco Polo Reihe. Ein persönliches Treffen mit dem Verlag aus Stuttgart war überfällig: »Das ist einfach eine andere Kommunikation als nur per Mail oder Telefon.«

Jetzt schreibt Nicole Czerwinka einen Roman. Vielleicht steht er bald in den hohen Regalen zwischen Herzschmerz und Emanzipation. Noch eine Reise: Ein Gedankenexperiment.

Mut zur Farbe

Fragt man den Verlag Voland & Quist, wie wichtig Events für den Buchmarkt sind, antwortet Anna Jung von der Pressearbeit: »Messen sind extrem bedeutend, um sich zu zeigen und in den Köpfen der Menschen präsent zu sein!«

Das Verlagsteam genießt die Möglichkeit, mit Leser*innen in direkten Kontakt zu treten, was anders kaum funktioniert und im Alltag selten ist. An den Fachbesuchertagen gibt es auch Austausch unter Kolleg*innen, um Ideen zu entwickeln – sogar eine Party für wichtige Kontakte. Anna Jung erklärt: »Im Vergleich zu anderen ist die Buchbranche ziemlich klein, da muss man zusammenhalten!« Und auf dem Messecampus ist es leicht, Verlage aus Süddeutschland und den Nachbarländern zu besuchen: »Wann kommen wir mal dazu, nach Österreich und in die Schweiz zu fahren?« Auch die Gespräche mit Agenturen sind essenziell für die Autorenakquise.

Anlässlich der Messe erscheint das Herbstprogramm – Anna Jung glaubt, es sei andersrum: Die Messe findet gerade daher im Oktober statt! Den halbjährlichen Rhythmus im Wechsel mit Leipzig findet sie wichtig: »Ein Jahr zu warten, wäre zu lang!«

Um für das Publikum attraktiv zu bleiben, denkt sich auch Voland & Quist gern Besonderes aus: In diesem Jahr wurden Logo und Messestand auffällig umgestaltet. Es sollte bunter und eingängiger werden, die Aufmerksamkeit der Vorbeiströmenden ist nicht leicht zu bekommen.

Alleinstellung im Zusammenschluss

Guten Zulauf haben Veranstaltungen auf dem Gelände: Varina Walenda, 1988 geborene Autorin und Assistenzärztin, präsentierte auf der Messe ihr Debüt »Dopamin & Pseudoretten«. Anna Jung liebt es mitzuerleben, wie eine Nachwuchsautorin zum ersten Mal mit ihrem Buch auftritt. Das Knüpfen der ersten Kontakte sei unwiederbringlich: »Die Autorin hat sich gleich wohlgefühlt.«

Auch das Label um Verleger Leif Greinus zählt zu den Independent Verlagen, auf seinen Fahnen steht die Innovativität. Hier verlegt man das Kinderbuch von Marc-Uwe Kling, Spoken Word, Lyrik-Audios oder Anna Mateurs »Bilderbuch für Erwachsene«. Laut Pressemeinungen auf der Website ist der Verlag aber auch: »Eine der ersten Adressen für neue Schweizer Literatur.« Mit im Programm ist seit 2019 das Imprint Edition Azur, seit 2005 hatte Voland & Quist in Frankfurt jedes Jahr einen Stand.

Mut gehört dazu, wenn man sich in die Massen stürzt. Und wie die Messehallen muss man folglich offen bleiben für alles, was hindurchströmen will. Im Sinne des Autors Gerhard Richter formuliere ich es vielleicht so: Wenn Literatur ein Kosmos ist, ist Frankfurt die Basisstation – hier fliegen so viele Shuttles ab, dass es nicht mehr um Überblick geht. Viel mehr um Euphorie.