Vollzeitjob oder Ehrenamt – Literatur ist Berufung! Buchbotschafter*innen setzen sich für das gedruckte Wort ein und verbinden Menschen mit Literatur, auf originellen Wegen … Wir sprechen mit leidenschaftlichen Leser*innen über Idealismus, Herausforderungen und Kraftquellen.
»Wasser und Buch – Der Podcast für literarische Grundbedürfnisse« wird in einer Leipziger Künstlerwohnung aufgenommen. Im Format um Josef Braun und Linn Penelope Rieger sind bereits mehr als hundert Folgen erschienen. Bei der Gründung wollten sie sich von anderen Podcasts abgrenzen, erklärt Linn Penelope Rieger. Vor allem geht es ihr um den Austausch zu Literatur; oft vergisst sie sogar, dass Leute zuhören …
Linn, du bist Dozentin am Deutschen Literaturinstitut, Geschäftsführerin im Netzwerk Lyrik und bei der Zeitschrift EDIT – außerdem selbst Autorin. Man kann sagen, dass Literatur dein Leben ist … Wie viel liest du?
Es sind so acht Bücher im Monat, schätzungsweise; im Moment bin ich bei 85 Stück dieses Jahr.
Manchmal lese ich nur zur Freude, aber das kommt immer seltener vor. Meistens mache ich etwas daraus, Moderationen oder eben Besprechungen.
Im Juni 2022 gab es die erste Folge von »Wasser und Buch«. Anfangs habt ihr monatlich ausgestrahlt, nach einem halben Jahr seid ihr auf einen wöchentlichen Turnus gewechselt. Warum?
Wir merkten, dass wir das Format nicht gut nutzen, wenn die einzelnen Folgen zu lang sind. Zu Beginn haben wir jedes Mal viel mehr Bücher gelesen und dann zu einem übergeordneten Thema teilweise neunzig Minuten gesprochen …
Wir hatten ein Staffel-Denken: Wir konzipierten ein Thema – Familie und Literatur – und produzierten zehn Folgen vor. Dabei gingen wir auf verschiedene Aspekte ein wie das Schreiben mit Kleinkindern oder die Erfahrung, die Autorinnen schildern, wenn ihr eigenes Kind zu schreiben beginnt.
Ging es euch dabei um Neuerscheinungen?
Wir haben die Literatur zum Thema gesammelt, egal, wie alt sie war. Wir wollten von Anfang an nicht ausschließlich über neue Titel sprechen. Das wäre ja verschenkt, es gibt so viele gute Bücher.
Literatur ist immer eine Form von Echo. Man kann literaturgeschichtlich schauen, was vorher kam und worauf sich Publikationen beziehen.
Seht ihr es als besonders hilfreich in unserer Zeit, diesen Überblick zu geben?
Die Quervernetzung ist eine große Stärke. Viele Menschen verlieren den Überblick in der Informationsflut. Der Horizont weitet sich, wenn man Hilfe bei der Einordnung und Einschätzung bekommt. Menschen zuzuhören, wie sie sich über Bücher austauschen – das ist doch immer spannend! Und Literatur ist für Audio besonders geeignet, weil das Medium gleich bleibt, also Sprache ist. Ich kann über Kino viel schlechter sprechen, weil das Kino visuell funktioniert.
Neue Titel ignoriert ihr aber auch nicht …
Wir betten sie in einen Kontext ein. Josef ist ein großer Filmliebhaber. Als das Buch von Ingmar Bergmans Tochter Linn Ullmann erschien, Mädchen, 1983, sah ich mir seinen Film Persona an, und wir machten eine Art Familien-Kunst-Feature daraus.
Teilweise konzipieren wir lose Reihen, bald wollen wir eine mit Literaturverfilmungen anfangen.
Wie lang dauert eine Folge jetzt?
Wir versuchen, nicht über eine Stunde zu gehen. Aus Sicht der Hörerschaft ist es nicht sinnvoll, eine Folge zu pausieren, um sie später weiterzuhören, weil man das meist doch nicht macht. In der nächsten Woche kommt ja schon wieder eine neue, daher ist ein Umfang ideal, der sich beim Kochen oder auf einem Spaziergang anhören lässt.
Könnt ihr in der Zeit genug sagen?
Wir quatschen nicht so gern einfach vor uns hin, sondern unterhalten uns zielgerichtet. Ich skripte meine Texte auch vor. Wir schneiden kaum, ich füge nur Sounds hinterher ein. Den Beginn oder den Schluss kann man bei Bedarf noch einkürzen, aber wir sind beide keine Tontechniker – Störgeräusche zu entfernen ist beispielsweise gar nicht so einfach für uns. Mit dieser Vorgehensweise wollen wir auch den Aufwand minimieren; wir haben für das Projekt keine Förderung zur Verfügung.
Ihr finanziert euch im Moment durch PayPal-Spenden …
Das ist eine Möglichkeit zu unterstützen, die uns auch hilft. Im Prinzip ist es eine ehrenamtliche Tätigkeit, wir haben die Technik aus eigener Tasche gekauft. Ich muss aber sagen, dass wir diese Gespräche wahrscheinlich ohnehin führen würden, also ganz unabhängig von jeder Bezahlung, weil es ein wichtiger Teil unseres Lebens ist. Der Podcast entstand auch, weil ich spürte, dass mir der Austausch über Literatur fehlt.
Habt ihr euch über die Literatur kennengelernt?
Josef und ich haben beide am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert, wo wir auch jetzt noch Seminare geben. Wir schrieben zeitweise gemeinsam für das Stadtmagazin Kreuzer – er über Film und ich über Literatur. Dort hatten wir zwischen Tür und Angel richtig gute Gespräche über Bücher. 2020, als ich das Studium abschloss, entstand da ein Loch für mich, und ich fragte ihn, ob er Lust hätte, so einen Podcast zu machen.
Wie kann man sich das vorstellen, habt ihr ein Tonstudio zu Hause?
Eher ein Mikro am Schreibtisch … Wir haben eine Basic-Ausstattung gekauft: Zwei gute Mikrofone mit Ständer und einen Mixer mit Anschlüssen dazu. Das ist ein Gerät, was dem Laptop vorgeschaltet ist. Jedes Mikro hat damit seinen eigenen Eingang, sodass jeder Gesprächspartner auch eine eigene Tonspur bekommt, die man bearbeiten kann. Wenn wir Gäste haben, können wir um einen zusätzlichen Eingang erweitern.
Mein Mann hat viel Technik-Erfahrung und machte anfangs den Schnitt für uns. Nach und nach habe ich das gelernt. Wir nutzen ein einfaches Programm namens GarageBand, das ist für unsere Zwecke gut. Am Ende führen wir noch ein manuelles Mastering der gesamten Aufnahme durch, dazu nutzen wir Auphonic.
Unterscheiden sich eure Lesevorlieben?
In manchen Punkten ist das so. Josef ist filminteressiert und kennt sich gut mit Theater aus. Er mag Dialoge und Szenisches, dynamische Settings mit viel Personal. Ich bin mag es ruhig und beobachtend, zum Beispiel Gedanken und Monologe, Nature Writing … Im Wesentlichen schätzen wir aber dieselben Dinge an Büchern, wenn es um die Art geht, wie etwas gemacht ist. Und dort treffen wir uns immer wieder.
Und eure Hörer*innen? Was sind das für Leute?
Wir sprechen ab und zu mit Menschen, die uns regelmäßig hören. Literaturpodcasts sind eher eine Nische, daher kennen wir manche Hörer*innen persönlich. Einige von ihnen schreiben selbst, teilweise haben sie aber auch gar keine Berührungspunkte mit dem Literaturbetrieb, sondern sind über uns persönlich auf den Podcast gekommen. Wir bekommen öfter das Feedback, dass es recht voraussetzungsreich ist, wenn man sich eher als literaturfern sieht. Wir geben im Gespräch eigentlich alle Informationen mit, die man für das Verständnis braucht, aber durch unsere Leseerfahrung haben wir mittlerweile viele Werke im Hinterkopf, zu denen wir Querverbindungen ziehen. Für einige Menschen ist es auch ungewohnt, etwas über ein Buch zu hören, das man nicht kennt, aber meist wird es als ziemlich spannend empfunden, anderen bei ihrer Unterhaltung darüber zuzuhören …
Beim Aufbau einer Folge gibt es verschiedene Ansätze; was habt ihr euch überlegt?
Es gibt zum Beispiel Podcasts, wo sich zwei Menschen treffen und einfach darüber austauschen, was sie so gelesen haben. Dann gibt es die Formate, die an Radios angegliedert sind, die haben meist einen großen Schwerpunkt auf Neuerscheinungen. Beides wollten wir nicht machen. Wir wollten uns auch nicht auf eine Textform reduzieren, sondern Lyrik, Autofiktionales und Essays genauso berücksichtigen wie Romane.
Unser Konzept umfasst mehrere Kategorien, die im Gespräch nacheinander Thema sind. Als Einstieg tauschen wir uns darüber aus, was im Literaturbetrieb so los ist. Ich habe da kürzlich vom Festival Pirna schreibt erzählt, wo ich einen Workshop für Autofiktion gegeben habe; es kann aber auch ein Preis sein, der eben verliehen wurde.
Den Hauptteil bilden Literatur-Besprechungen?
Genau, nach dem Einstieg folgt der Austausch zu den Büchern, manchmal zu einem Thema. Wir hatten eine Folge über Thomas Mann, eine zum Phänomen New Romance und auch eine über »Wasser«, als ich gerade viel dazu gelesen hatte. Im letzten Teil des Gesprächs widmen wir uns einer Person, die gerade Geburts- oder Todestag gehabt hätte, zuletzt waren das Katherine Mansfield, Graham Greene und Jurek Becker. Manchmal finden wir auch Namen, die wir noch gar nicht kennen. Die Recherche dazu ist für mich ein spannender Bildungsaspekt.
Wie privat werdet ihr in euren Gesprächen?
Wir tauschen manchmal persönliche Erfahrungen aus, aber über Umwege bleiben wir immer am Literaturthema. Wir sind zum Beispiel beide Eltern eines 4- beziehungsweise 5-jährigen Kindes und haben uns unterhalten, wie wir das mit dem Schreiben und der Familie organisieren. Unser Leben spielt sich über Literatur ab, dadurch kennen wir uns auch wahnsinnig gut. Wenn man offen über Bücher spricht, wird es automatisch persönlich.
Kann man von einem Buch auch zu viel verraten?
Ich glaub, da finden wir eine gute Balance. Die Stärke dieser intensiven Besprechungen ist, dass man beim Hören ein Gefühl dafür bekommt, um was für ein Buch es sich handelt und für wen es interessant ist. Ein Buch nachzuerzählen, sehen wir nicht als unsere Aufgabe. Dafür ergänzen sich unsere verschiedenen Blickwinkel, wenn wir ein Buch beide gelesen haben – jeder nimmt sich ja etwas anderes aus einem Werk und liest vielleicht auch Schwerpunkte hinein; für die Hörer*innen zeigt das Lesarten auf. Wenn Josef mir etwas erzählt und ich selbst das Buch nicht gelesen habe, bin ich in der Rolle der Zuhörerin und kann kritisch einhaken, beispielsweise nachfragen, ob eine bestimmte Umsetzung gelingt.
Wie ist es mit der Kritik, gibt es da Objektivität?
Darüber streiten sich ja viele. Für mich ist eine Buchbesprechung klar von subjektivem Empfinden geprägt; es geht darum, wie ich ein Werk betrachte. Man kann natürlich versuchen, objektive Kriterien zu finden. Generell möchten wir auch nichts vermitteln, was uns aufregt, das heißt, man kann von uns keine Verrisse erwarten. Wir geben Titeln und Autor*innen eine Plattform und müssen uns intensiv mit ihnen beschäftigen – da wollen wir auch über etwas sprechen, das uns gefällt.
Willst du uns noch einen Buchtipp geben?
Zu meinem absoluten Lieblingsbuch wurde Annie Dillards Einen Stein zum Sprechen bringen. Das Buch erschien in der Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz. Der Essay ist generell eine meiner liebsten Formen, und Annie Dillard schreibt sehr klug und schaut wahnsinnig genau auf die Welt. Sie verbindet beispielsweise das Erleben einer Sonnenfinsternis mit der Geschichte eines Mannes, der versucht, einem Stein das Sprechen beizubringen. Oder sie bringt eine Polarexpedition innerlich mit einem Gottesdienst zusammen, und dieser Bogen scheint sich ganz natürlich zu ergeben – das muss man erstmal schaffen.
Das Gespräch führte Josefine Gottwald
Alle Folgen des Podcasts hören Sie auf www.wasser-und-buch.podigee.io/
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